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Der Schatten aus der Zeit

Der Schatten aus der Zeit

Titel: Der Schatten aus der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard P. Lovecraft
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Blöcken schließen konnte. Woher wußte ich, daß diese Fläche weit unter der Erde gelegen hatte? Woher wußte ich, daß die aufwärts führende Rampe hinter mir war? Woher wußte ich, daß der lange unterirdische Gang zum Platz der Säulen auf der linken Seite eine Etage über mir hätte verlaufen müssen?

    Woher wußte ich, daß der Maschinenraum und der nach rechts in die zentralen Archive abzweigende Tunnel zwei Etagen tiefer liegen mußten?

    Woher wußte ich, daß vier Etagen unter mir eine jener schrecklichen Falltüren mit den Metallbändern sein würde? Bestürzt über diesen Übergriff aus meiner Traumwelt spürte ich, wie ich zitterte und in kalten Schweiß ausbrach.

    Und dann bemerkte ich was die Sache vollends unerträglich machte jenen schwachen, heimtückischen, kühlen Luftstrom, der aus einer Vertiefung ungefähr in der Mitte des riesigen Trümmerhaufens heraufdrang.

    Augenblicklich verschwanden, wie schon einmal zuvor, meine Visionen, und ich sah wieder nur das bösartige Mondlicht, die bedrohliche Wüste und den breiten Hügel urzeitlicher Mauerreste. Ich stand vor einer realen und greifbaren, aber dennoch mit unendlichen Ahnungen finsterer Geheimnisse erfüllten Erscheinung. Denn dieser kalte Luftzug konnte nur eines bedeuten unter den durcheinandergeworfenen Blöcken auf der Oberfläche verbarg sich ein riesiger Hohlraum.

    Ich dachte gleich an die finsteren Eingeborenen-Legenden von den riesigen unterirdischen Hütten unter den Megalithen, wo schreckliche Dinge geschahen und starke Winde geboren wurden. Dann kehrten die Gedanken an meine eigenen Träume zurück, und ich fühlte, wie die Schein-Erinnerungen an meinem Gehirn zerrten. Was für ein Raum befand sich unter mir? Welche unvorstellbare, urzeitliche Quelle alter Sagenkreise und bedrükkender Alpträume sollte ich entdecken?

    Ich zögerte nur einen Moment, denn mehr als Neugier und wissenschaftlicher Eifer trieb mich vorwärts und kämpfte gegen meine wachsende Furcht an.

    Ich schien mich fast automatisch zu bewegen, wie unter dem Zwang eines unausweichlichen
    Schicksals. Ich steckte meine Taschenlampe ein, und mit einer Kraft, die ich mir nie zugetraut hätte, wälzte ich erst eines der titanischen Bruchstücke zur Seite und dann noch eines, bis ein starker Luftstrom heraufstieg, dessen Feuchtigkeit in einem merkwürdigen Gegensatz zu der trockenen Wüstenluft stand. Eine schwarze Kluft begann sich aufzutun, und schließlich als ich jeden Stein, der klein genug war, beiseite geräumt hatte schien das fahle Mondlicht auf eine Öffnung, die weit genug war, um mich hindurchzulassen.

    Ich zog meine Taschenlampe hervor und leuchtete in die Öffnung. Unter mir war ein Chaos eingefallenen Mauerwerks, das nach Norden in einem Winkel von etwa fünfundvierzig Grad abfiel und offensichtlich das Ergebnis eines vor langer Zeit erfolgten Einbruchs von oben war.

    Zwischen ihm und der Erdoberfläche klaffte ein undurchdringlich finsterer Abgrund, an dessen oberem Rand Reste eines gigantischen Gewölbes zu erkennen waren. An dieser Stelle, so schien es, lag der Wüstensand direkt auf dem Boden eines titanischen Bauwerks aus den Anfängen der Erdgeschichte; wie es sich durch die Äonen geologischer Umwälzungen erhalten hatte, konnte ich weder damals noch kann ich heute auch nur zu erahnen versuchen.

    Rückblickend erscheint mir der bloße Gedanke an einen plötzlichen, einsamen Abstieg in einen so zweifelhaften Abgrund -noch dazu zu einem Zeitpunkt, da niemand wußte, wo ich mich befand als der Gipfel des Wahnsinns. Vielleicht war er es doch in dieser Nacht wagte ich diesen Abstieg ohne Zögern.

    Wieder spürte ich diesen schicksalhaften, lockenden Drang, der mich schon an diesen Ort geführt hatte. Ich ließ die Taschenlampe nur ab und zu aufleuchten, um die Batterie zu schonen, und kletterte halsbrecherisch die finstere, zyklopische Schräge unterhalb der Öffnung hinab manchmal mit dem Gesicht nach vorne, wenn meine Hände und Füße genügend Halt fanden, und manchmal den Megalithen zugewandt, wenn es schwieriger wurde, einen Weg zu ertasten.

    Zu beiden Seiten sah ich im Licht der Taschenlampe Wände behauenen, zerbröckelnden Mauerwerks düster aufragen. Vor mir aber war Finsternis.

    Ich achtete nicht darauf, wieviel Zeit während meines Abstiegs verging. So viele Ahnungen und Bilder bedrängten mich, daß alle objektiven Dinge in eine unermeßliche Entfernung zurückzutreten schienen. Die körperlichen Empfindungen waren betäubt, und

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