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Der Schatten des Chamaeleons

Titel: Der Schatten des Chamaeleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters Mechtild Sandberg-Ciletti
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enthielt. Sie haben Jens Namen von der Liste der Personen streichen lassen, die im Fall Ihres Todes benachrichtigt werden sollten.«
    »Wann?«
    »Vermutlich bei Ihrer Ankunft im Irak.«
    »Ich kann mich nicht erinnern.«
    »Können Sie sich erinnern, ob der Brief Sie traurig gemacht hat? Tut es jetzt noch weh?«
    »Nein.«
    Willis war skeptisch. »Den meisten von uns tut es weh, wenn eine Beziehung endet, Charles. In Romanen ist nicht ohne Grund von gebrochenem Herzen die Rede. Manchmal hält der Schmerz über Monate an.«
    »Ich habe nichts für sie empfunden.«
    Willis versuchte es anders. »Was hielten Sie von Ihrem Kommandeur? Würden Sie ihn als guten Mann bezeichnen?«
    »Absolut. Er konnte manchmal ausflippen, aber er war nie nachtragend.«
    »Und Ihr Dienst, wie war der? Sie haben vorhin von sinkender Moral gesprochen. War die Moral schlecht, als Sie da drüben waren?«
    »Da, wo ich war, nicht - aber wir hatten kaum Kontakt mit
den Einheimischen. Den ganzen Groll der Bevölkerung haben die Bodentruppen in Basra abbekommen, und die Männer sagten alle, dass das schwer zu ertragen ist.«
    »Haben Sie irgendwann einmal Angst gehabt?«
    »Ja.«
    »Bei welcher Gelegenheit?«
    »Immer wenn uns ein Auto mit einem einzelnen Fahrer entgegenkam. Wir haben die Luft angehalten, bis es vorbei war. Es hätte ja ein Selbstmordattentäter sein können.«
    »An manche Gefühle erinnern Sie sich also - Sie mochten die Leute, mit denen Sie zusammengearbeitet haben, Sie konnten nachempfinden, dass bei den Kameraden die Moral schwand, und Sie hatten Angst -, aber Ihre Gefühle für Ihre Verlobte haben Sie verdrängt. Was glauben Sie, hat das zu bedeuten?«
    Acland antwortete mit einem ironischen Schulterzucken. »Dass ich sie vergessen musste, um richtig funktionieren zu können?«
    »Nur haben Sie sie nicht vergessen, Sie mögen sie nur nicht mehr.« Willis beobachtete, wie sein Gegenüber in einem fort die Handballen gegeneinanderschlug und die Luft zwischen ihnen herauspresste. »Was glauben Sie, hätten Sie empfunden, wenn Sie den Brief gelesen hätten?«
    »Ich habe ihn nicht gelesen.«
    Willis hatte den Eindruck, dass er log. »Wären Sie verletzt gewesen?«
    Acland schüttelte den Kopf. »Wütend.«
    »Dann müssen Sie auf jeden Fall wütend gewesen sein, ob Sie ihn nun gelesen haben oder nicht, da Sie offensichtlich wussten, dass es ein Abschiedsbrief war.« Er nahm seine Brille ab und polierte die Gläser an seiner Manschette. »Warum macht Ihnen das so zu schaffen?«
    »Wer sagt, dass es so ist?«
    »Sie deuteten an, dass Ihre Amnesie emotionale Ursachen hat, und Sie haben mit Wut zu kämpfen, seit Sie hier sind. Wut ist
ein starkes Gefühl. Ich frage mich, ob Sie diese Wut für alles verantwortlich machen. Dass Sie deswegen als Zugführer versagt haben.«
    »Inwiefern?«
    »Mangelnde Aufmerksamkeit.« Willis setzte die Brille wieder auf und musterte den jungen Mann. »Ich glaube, Sie schreiben den Tod Ihrer Männer der Tatsache zu, dass Sie mit Ihren Gedanken bei Jen waren, und reden sich nun ein, dass Sie den Anschlag deshalb vergessen haben. Sie werfen sich Fahrlässigkeit vor.«
    Acland antwortete nicht.
    »Ich will nicht behaupten, dass ich bis ins Einzelne verstehe, wie das Gehirn arbeitet, Charles - es ist ein hochkompliziertes Organ mit etwa einhundert Milliarden Neuronen -, aber ich bezweifle, dass die beiden Ereignisse in Zusammenhang stehen. Sie waren vielleicht in der ersten Woche Ihres Einsatzes abgelenkt, aber nicht mehr nach zwei Monaten. Ich denke mir, Sie haben die Sache mit Jen in einer Schublade verstaut, um sich auf die Selbstmordattentäter zu konzentrieren - so würden die meisten von uns in so einer Situation handeln. Sie werden ja wohl kaum die Gefahr verdrängt und die ganze Zeit nur noch an sie gedacht haben. Sie sagen selbst, Sie haben jedes Mal, wenn ein Auto kam, den Atem angehalten.«
    »Stimmt.« Die Hände des jungen Mannes entspannten sich plötzlich. »Aber merkwürdig ist es schon. Sie war verdammt gut im Bett. Irgendwas müsste ich da doch fühlen.«

    DR. ROBERT WILLIS
    PSYCHIATER
     
    Auszüge aus den Aufzeichnungen über Lieutenant
Charles Acland
Januar/Februar 2007
     
    ... Charles misstraut mir. Er möchte in den aktiven Dienst zurückkehren und weigert sich aus diesem Grund, offen über seine Ängste zu sprechen. Er glaubt, ich sei mit der »Prüfung seiner psychischen Eignung« beauftragt worden und leite meine Berichte an seine Vorgesetzten weiter. [Frage: Wie beunruhigt

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