Der Schatten des Horus
Rechtswissenschaft sein.«
Yusuf bog in eine weitere, noch engere Gasse ab. Händler hatten ihre Stände aufgebaut, im Schneidersitz hockten sie zwischen ihrem Gemüse, andere ärgerten aus Langeweile die Hühner in den engen Körben. Zum Schutz gegen die allgegenwärtige Sonne waren Tücher von Haus zu Haus gespannt.
»Warum ich euch das alles erzähle?«, fragte Yusuf. Er verlangsamte seinen Schritt. »Damit ihr voller Ehrfurcht in das Gebäude geht. Etwa 375.00 0 Studenten sind hier eingeschrieben, 16.00 0 Lehrende geben ihr Wissen weiter. Diese Universität behauptet von sich, die älteste durchgehend besetzte Lehranstalt der Welt zu sein. Und wie lautet das Wort des Propheten Mohammed? Es lautet: Die höchsten Gnadenserweise sind Wasser für den Durstigen und Bildung für den Unwissenden.«
Wieder änderten sie die Richtung. Sid hatte nun völlig die Orientierung verloren. Die arabische Altstadt wirkte wie ein aus dem Dornröschenschlaf wach geküsstes Viertel. Bis auf ein paar Antennen und Kabel auf den Dächern deutete nichts darauf hin, dass man sich im 21 . Jahrhundert befand. Die Bewohner dieses Stadtteils lebten in Gebäuden aus dem Mittelalter.
»Vielleicht sollte ich noch die Macht der Azhari erwähnen«, fuhr Yusuf fort, als sie an einem Schmied vorbeigingen, der feine Gravuren in einen Bronzeteller hämmerte. »Vor ein paar Jahren hatte ein arabischer Verlag die Idee, einen Tischkalender mit Koranversen zu drucken. Jeden Tag sollten die Gläubigen so ein neues Zitat lesen können. Die Azhari verboten die Verbreitung des Kalenders allerdings umgehend, weil die Blätter nach dem Abreißen im Müll landen würden und so den Namen Gottes entweihen könnten.«
Tief beeindruckt folgten Sid und Rascal ihrem Führer durch einen Gang, in dem Dutzende von Verkäufern lautstark ihre Bauchtanzkostüme anpriesen. Unvermutet traten sie danach auf einen ausladenden Platz, auf der anderen Seite erkannte Sid die Moschee wieder, an der sie sich vor knapp drei Wochen zum ersten Mal mit Yusuf getroffen hatte n – was war seitdem alles passiert! Mit einem mulmigen Gefühl überquerte Sid die Straße. Yusufs Monolog hatte ihm gehörigen Respekt vor dem Betrieb hinter den Mauern eingeflößt. Zum wiederholten Male tastete er nach der Lederkapsel in seiner Hosentasche, sie war rutschig vom Schweiß seiner Hände.
Vor dem Eingang senkte Sid den Blick, gerne hätte er Rascals Hand genommen, aber hier waren solche Zärtlichkeiten bestimmt nicht erlaubt. Yusuf grinste, er schien sich diebisch zu freuen, dass er den beiden Amerikanern Respekt vor seiner Welt eingeflößt hatte. Mit unzähligen anderen Studenten drängten sich die drei unter einem Doppelbogen hindurch.
»Es heißt das Tor der Barbiere «, rief ihnen Yusuf über ein paar Köpfe hinweg zu. »Hier werden den neuen Studenten die Haare geschnitten, damit sie so aussehen wie du, Sid.«
Unter einer Kuppel hindurch gelangten sie in den Hof, der ringsum von einem prächtigen Bogengang umgeben war. Die freie Fläche in der Mitte war so blank gescheuert, dass sich die drei Minarette der Moschee messerscharf in ihr widerspiegelten. Yusuf bat sie, unter den Arkaden auf ihn zu warten. Er eilte davon, um den Dekan um Hilfe zu bitten.
Sid sah Rascal an. Sie blinzelte in den Himmel und spielte dabei an ihrem Nasenring herum. Er dachte an das Gespräch zurück, das sie auf der Fahrt von Luxor nach Giza geführt hatten.
»Wissen deine Eltern eigentlich jetzt, wo du bist?«, platzte es aus ihm heraus.
Rascal nickte. »Ich habe Jurgen gebeten, es ihnen zu sagen. Normalerweise bin ich nämlich eine brave Tochter und melde mich mindestens alle zwei Wochen bei ihnen.«
Sid spürte einen schmerzhaften Stich. Also wusste dieser fette Punkmusiker mehr über Rascal, als sie ihm selbst preisgeben wollte. Dabei behauptete sie doch, ihn zu lieben!
Yusuf hastete winkend über den Hof auf sie zu. Er war allein. »Ich hab’s doch gewusst!«, jubelte er. »Hier gibt es für alles einen Experten, sogar für Altertümliche Astronomie. Der Dekan hat mir seinen Namen genannt und uns angemeldet, Professor Fathy erwartet uns in der Bibliothek!«
Sid, der seine Eifersucht hinuntergeschluckt und sich wieder gefangen hatte, schlug Yusuf begeistert auf die Schulter. »Danke! Wie hast du das geschafft?«
Ihr Führer blickte verlegen zu Boden. »Ich habe ihm versprochen, dass sie die Scherbe behalten können, wenn sie uns helfen, das Rätsel zu entschlüsseln.«
»Du hast was ?« Sid wäre
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