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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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sollten wissen, dass hier einer zwischen Ulm und Memphis mit einem städtischen Wagen herumfährt. Der kann sich als sonst was ausgeben.«
    »Ich hab’ es notiert«, sagte der Beamte. »Aber im Augenblick können wir wirklich nichts tun. Verstehen Sie uns bitte: Da ist diese Demonstration am Hauptbahnhof.«
     
    Angewidert betrachtete Markert das Gedränge auf der Zinglerbrücke. Mitten im Berufsverkehr hatten sich Demonstranten zwischen die Autoschlangen gestellt. Wenig später war auf den Zubringerstraßen der Verkehr zusammengebrochen. Als die eingekeilten Autos weiterfahren durften, war die Brücke bereits fest in der Hand der Demonstranten. Transparente hingen über das Brückengeländer bis fast auf die Fahrleitungen herunter. Und im Hauptbahnhof stand eine Hundertschaft
von Bereitschaftspolizisten nutzlos in und vor der Schalterhalle herum.
    Markert hatte keine Lust, die Brücke räumen zu lassen. Wieso sollten seine Leute eigentlich ihren Buckel hinhalten für die Dividenden der Stromkonzerne? Neben ihm stand Blocher und beobachtete die Demonstranten aus einem Feldstecher. Was hat dieser Idiot hier verloren?
    Auf dem Gehsteig der Brücke erschien ein Mensch in einer abgerissenen Lederjacke. Er schob vier Einkaufswagen vor sich her. »Ich hab’ sie aus dem Tengelmann da unten«, erklärte er. »Wir brauchen sie nur von der Brücke auf die Fahrleitungen zu schmeißen. Dann gibt es einen Kurzschluss und nichts mehr geht.«
    Ein rundlicher Mann mit langen fettigen Haaren und einem Megaphon stellte sich vor ihn. »Das ma-ma-machen wir nicht«, sagte er entschieden. »Ein solcher Sch-Sch-Scheiß läuft hier nicht.« Es war der Sprecher der regionalen Anti-Atomkraft-Komitees und er stotterte nur, wenn er kein Mikrofon benutzen konnte.
    Eine aufgeregter Junge mit langen blonden Haaren drängte sich zu ihm durch. »Bloß nicht«, sagte er. »Das ist der Hugler. Ein Polizeispitzel.« Er schob sich an den Einkaufswagen vorbei und ohrfeigte den Mann in der Lederjacke.
    »Die schlagen einen meiner Leute zusammen«, sagte Blocher zu Markert. »Wollen Sie vielleicht jetzt eingreifen?«
    »Scheiße«, sagte Markert. »Was hat Ihr Mann hier zu suchen?« Aber es war zu spät. Die Bereitschaftspolizisten hatten sich mit heruntergeklapptem Schutzvisier und Schlagstöcken in Bewegung gesetzt. Von der Brücke flogen die ersten Steine.

Freitag, 20. Februar, 10 Uhr
    Zornig hatte Nike schon wieder eine Rückhand verschlagen. Sie hasste diese angemuffte Trainingshalle, und plötzlich entdeckte sie, dass sie Ulm überhaupt verabscheute. Sie hatte schon diese Geschichte mit ihrem Großvater nicht verstanden; irgendeine Sache aus dem Krieg brühten sie da auf, was konnte das mit ihr und ihrem Großvater zu tun haben, und wie konnte es sein, dass sie im Fernsehen Bilder von ihrem Großvater brachten wie von einem – ja, wie von einem Bankräuber oder Kindermörder, dachte sie und verschlug schon wieder. Wenigstens hatten sie diesen täppischen Polizisten abgezogen, der ihr während der letzten Tage unter dem Vorwand hinterhergelaufen war, er sei ihr Personenschutz.
    »Du bist wirklich nicht besonders gut drauf«, sagte ihr Trainer Brian, und Nike antwortete, dass ihr seine blöden Kommentare heute gerade noch gefehlt hätten.
    Das Groteske war, dass die Geschichte immer weiterging und dass am Morgen jede Menge Polizei im Haus war und alles auf den Kopf stellte, als ob ihr Großvater tote Juden im Kleiderschrank versteckt hätte.
    Einer der Polizisten, der aber keine Uniform trug, ein Grauhaariger mit unangenehmen Augen, hatte ihr ein Foto von einem nichtssagenden Menschen gezeigt: ob sie den im Haus oder in Ulm gesehen hätte?
    Nein, hatte sie geantwortet und hinzugefügt, in ihrer Familie verkehrten Leute von etwas anderem Zuschnitt.
    Sie verstand auch nicht, was mit ihren Eltern los war, sie rotierten kurz vor der Panik. An den toten Juden oder toten Kriegsgefangenen hatten doch sie keine Schuld. Großvater aber war zusammengeklappt, und das hätte sie denn doch nicht gedacht. Wie eine Marionette, der man den Faden abgeschnitten hat. Erst jetzt sah man, dass er alt war, entsetzlich alt. »Stopp!«, sagte Brian. »Das macht keinen Sinn. Komm wieder, wenn du deine fünf Sinne beisammen hast.«

    Es war später Vormittag, und draußen regnete es. Nike hatte keine Lust, in den Waschräumen der Trainingshalle zu duschen; dort roch es zu sehr nach Internat und Desinfektionsmitteln. Sie zog sich rasch um und ging mit ihrer Sporttasche auf

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