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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Schülin. »Nach der Beerdigung fragte ich meinen Vater, warum eigentlich von seiner Seite keine Verwandten gekommen seien, und warum es in unserem Leben überhaupt nie jemand von den Twienholts gegeben habe. Damals gab es für die Leute aus der DDR unter bestimmten Umständen Ausreisegenehmigungen, und ich sagte ihm das. Mein Vater wurde so blass, wie er es nicht einmal beim Tod meiner Mutter gewesen war.«
    Die Frau machte eine Pause. Die fällt gleich um, dachte Tamar. Dann schien ein Ruck durch Anne-Marie Schülin zu gehen.
    »Dann sagte er es mir. Dass er nicht in Muskau geboren wurde. Dass er Hendrik Hendriksen heiße. Dass er im Krieg wichtige Forschungsaufträge wahrgenommen habe. Dass er deswegen in Gefahr gewesen sei. Und dass das jetzt alles der Vergangenheit angehöre. Unser Leben ist hier und heute, sagte er.«
    »Als Medizinstudentin bin ich dann durch einen Zufall auf den Namen Hendrik Hendriksen gestoßen, in einer Monographie wurde auf seine Dissertation über damals neuartige psychische Wirkstoffe verwiesen. Leider sei damit dann auch in den Kriegsgefangenenlagern experimentiert worden, stand in einer Anmerkung. Eigentlich wollte ich nichts davon wissen, ich wollte nichts von dem ausgraben, von dem meine Mutter gesagt hatte, dass es besser verborgen bleibe. Ich lernte wegzuschauen. Aber es war, als drängte diese Wahrheit Bruchstück für Bruchstück in mein Bewusstsein, so sehr ich mich
auch gewehrt habe. Zum Schluss habe ich mich geweigert, auch nur ein Buch über Zeitgeschichte in die Hand zu nehmen, weil ich ganz gewiss die einzige Stelle aufgeschlagen hätte, in der etwas über die Menschenversuche nachzulesen gewesen wäre.«
     
    Das ist aber wirklich ätzend, stellte Yvonne fest und starrte missmutig in den Fernseher. In diesem Augenblick klingelte es an ihrer Tür. Anhaltend und hartnäckig.
    Mürrisch stand sie auf.
    Durch ihren Spion sah sie einen Mann in einer Polizeiuniform. Hatte Eberhard ihn geschickt? Sie öffnete die Tür. Vor ihr hatten sich zwei Polizisten und eine Beamtin aufgebaut. Die Frau hatte flachsgelbe Haare und Pickel. Dazu hieß sie auch noch »Cornelia Hufbauer«. So stand es auf dem Namensschild am Revers ihrer Uniformjacke.
     
    »Ich habe ihn nie zur Rede gestellt«, fuhr Anne-Marie Schülin fort. »Aber irgendwann hat er gewusst, dass ich Bescheid weiß. Es war ihm gleichgültig. Manchmal, immerhin, sprachen wir über die Psychopharmaka, die er für Toedtwyler und dessen Luethi-Konzern entwickelt hat. Harmlos sind die freilich nicht, sagte er über die Tabletten. Es ist die Dosis, die das Gift macht. Und es ist Schnee, der die Seele kühlt, vielleicht auch erfrieren lassen kann, er wisse das wohl. Aber niemand klage den Herrn Daimler an, sagte er, weil mit Autos auch Leute totgefahren würden.«
     
    »Wir haben einen Durchsuchungsbefehl«, sagte der ältere der beiden Beamten und hielt ihr ein Schreiben vor. Yvonne war ausgebildete Rechtsanwaltsgehilfin. Sie versuchte, die Verfügung zu entziffern. Aber irgendwie verschwammen die Buchstaben vor ihren Augen. Aus dem Fernsehen klang die eintönige, klagende Stimme ohne Unterbrechung weiter.

     
    »Unser Leben ging seinen Gang, und ich wollte, dass es ein erfülltes, glückliches Leben sei. Ich heiratete, und ich hoffte, dass meine Tochter fröhlich und unbeschwert aufwachsen würde, wie ich mir immer eingeredet hatte, dass auch meine Kindheit gewesen sei.«
    Die beiden Beamten machten sich daran, die Schrankwand und den Sekretär zu untersuchen. Yvonne blieb nichts anderes übrig, als die Schubfächer des Sekretärs aufzuschließen.
    Die flachsgelbe Hufbauer machte Anstalten, in ihr Badezimmer zu gehen. »Das muss ja wohl nicht sein«, sagte Yvonne scharf. Sie spürte, wie die Wut in ihr hochkroch.
    »Bitte«, sagte die Polizeimeisterin Cornelia Hufbauer, »wenn Sie dabei sein wollen?«
     
    In sich versunken verfolgte Berndorf die Übertragung auf dem Monitor.
    »Wir sind niemandem etwas schuldig geblieben«, sagte die Frau. »Wir haben getan, was man von uns erwartet hat. Wir haben unsere Steuern bezahlt. Mehr als andere. Niemand hatte Grund, etwas über uns zu sagen. Bis sich vor einigen Wochen ein fremder Mensch meldete und aus Görlitz in Ostdeutschland schrieb, er suche seinen Vater, einen Gustav Twienholt, angeblich nur so, nur um ihn zu sprechen. Für einen Augenblick dachte ich – ach Gott, eine Jugendsünde meines Vaters, wie lustig! Warum hat er mir nicht längst von meinem Halbbruder erzählt? Bis ich

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