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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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brauch’ noch Rasierzeug«, sagte Thalmann. Zu dritt gingen sie noch einmal ins Bad. Doch Tanner besaß offenbar nur einen Braun-Elektrorasierer und einen Gillette-Apparat.
    Thalmann zuckte mit den Achseln.

Dienstag, 27. Januar, 14 Uhr
    Der City-Jet aus Halle landete ohne Verspätung. Tamar wartete am Checkpoint, von einer Lufthansa-Frau hatte sie sich ein Schild ausgeliehen und »Fr. Tiefenbach« draufgeschrieben.
    Eine dunkelhaarige Frau um die vierzig kam auf sie zu. Carola Tiefenbach trug einen braunen Mantel und weiße Stiefel, von denen man ihr in einem der besseren Ulmer Schuhgeschäfte
sicherlich abgeraten hätte. Ungeachtet dessen und ihrer Fältchen um die Augen und um den Mund hatte sie ein angenehm selbstbewusstes Gesicht.
    Sie trat unbefangen auf Tamar zu: »Sie kommen von Ulm und holen mich ab?« Tamar stellte sich vor und fragte, ob Carola Tiefenbach vor dem Eingangsportal warten wolle, bis sie den Wagen geholt habe. Man könne doch zusammen zum Parkplatz gehen, war die Antwort.
    Auf dem Weg zum Parkhaus erklärte ihr Tamar, dass in einem Hotel in der Innenstadt ein Zimmer reserviert sei.
    »Aber Sie fahren mich doch zuerst zum Leichenschauhaus? Ich war übrigens noch nie in so etwas.«
    »Es ist in der Pathologie«, antwortete Tamar. »Aber es wird Sie nicht unnötig belasten. Es ist nicht schlimm dort.« Wieso auch? Tote sind nie schlimm, dachte sie dann.
    Carola Tiefenbach wollte wissen, ob Tamar öfter mit solchen Fällen zu tun habe. »Nicht allzu oft. Ich arbeite seit anderthalb Jahren im Dezernat Tötungsdelikte. Die meiste Zeit ist es ruhig. Nicht so wie im Krimi im Fernsehen.«
    »Der Tote, den Sie mir zeigen werden, war mein Mann, mein früherer Mann«, sagte Carola Tiefenbach. Dann zögerte sie. »Hat er es selbst gemacht?«
    Tamar überlegte einen Augenblick, was sie sagen dürfe. »Das wissen wir nicht«, sagte sie vorsichtig. »Auch wenn es Selbstmord war, gibt es noch einige Punkte zu klären.«
    Carola Tiefenbach fragte, ob sie rauchen dürfe. Tamar schob wortlos am Armaturenbrett die Abdeckung für Aschenbecher und Zigarettenanzünder auf.
    »Dass Sie mich recht verstehen«, sagte Carola Tiefenbach, als sie sich ihre Zigarette angezündet hatte, »ich fühle mich nicht mehr für Heinz Tiefenbach verantwortlich. Aber sein Tod geht mir nahe. Ich hatte das Gefühl, dass er nicht mehr gewusst hat, wo sein Platz ist und was er auf der Welt eigentlich soll.«
    »Hat das mit der Wende zu tun?«, fragte Tamar.

    »Ich glaube, ja. Er war in der DDR zu Hause, und zwar in einem wortwörtlichen Sinne. Wir haben oft gestritten, auch politisch, und wenn ich ihm vorgehalten habe, dass die Stadt und das ganze Land langsam verfällt und vor die Hunde geht, dann hat er gesagt, dass wir uns keinen anderen Staat backen könnten und dass nur alle ihre Pflicht tun müssten, dann werde es doch auch wieder aufwärts gehen.«
    Fahrig streifte sie Zigarettenasche ab, obwohl sie kaum mehr als drei oder vier Züge getan hatte. »Und dann haben wir doch einen anderen Staat bekommen, aber für Heinz, der immer seine Pflicht getan hat, ist es nicht aufwärts gegangen. Die Bahnwerke haben ihn bei der zweiten Entlassungswelle auf die Straße gesetzt. Er hat es nie verwunden.«
    »Er war doch Ingenieur«, fragte Tamar. »Gab es da keine Möglichkeit für eine Umschulung?«
    »Die anderen Betriebe haben doch auch niemand mehr eingestellt. Erst recht nicht, wenn einer über 50 ist«, antwortete Carola Tiefenbach. »Er wurde nicht mehr gebraucht, und das hat er nicht verwunden. Deswegen sind wir dann auch auseinander gegangen. Ich habe in der Schule so viel Stress – da konnte ich zu Hause nicht auch noch ein Unglückskind ertragen, das durchs Leben gefallen ist und es nicht versteht.«
     
    Der Nachmittag verging. Es dunkelte. Auf der Autobahn Lindau-München rollte der Streifenwagen Kempten 4 mit Tempo 110 in Richtung Ausfahrt Marktoberdorf.
    »Und ich sag’ dir, der läuft nicht rund«, sagte Rösner.
    Ach weiß nicht, was du immer hast. Die Karre ist halt alt«, sagte Kubitschek, der am Steuer saß.
    »Ich denk’, es ist ein Radlager ausgeschlagen, und sie haben es in der Werkstatt mal wieder nicht gemerkt«, beharrte Rösner.
    »Nerv nicht«, sagte Kubitschek, der mit den Leuten aus der Werkstatt in der gleichen Volleyball-Gruppe spielte. »Außerdem: Geh’n wir jetzt zum Döner oder nicht?«

    Hinter ihnen schloss ein Wagen auf, wechselte auf die Überholspur und zog an ihnen vorbei. Es war ein dunkler neuer

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