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Der Schatten des Schwans

Der Schatten des Schwans

Titel: Der Schatten des Schwans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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haben, dann ist Tiefenbach mit einer Art chemischem Hammer außer Gefecht gesetzt worden. Das erinnert doch stark an die K.-o.-Tropfen, die manchmal im Rotlicht-Milieu benutzt werden.«
    »Aber Tiefenbach hatte noch Geld bei sich«, wandte Berndorf ein.
    »Vielleicht haben die Leute, die das gemacht haben, sich in der Dosis vergriffen«, meinte Tamar. »Vielleicht sind sie in Panik geraten, weil sie mit einem Todesfall nicht in Berührung kommen wollten. Sie wollten ja, dass die Sache wie ein Selbstmord aussieht. Deswegen mussten sie ihm das Geld lassen.«
    »Da ist was dran«, gab Berndorf zu. »Gehen Sie doch morgen zu Felleisen und klappern mit ihm die einschlägigen Lokale ab.« Felleisen war Leiter der Sitte. »Die Branche müsste uns eigentlich behilflich sein. Wenn bekannt wird, dass hier Leute mit K.-o.-Tropfen zugange sind, wäre das nicht gut fürs Geschäft.«
    »Und Sie werden nach Görlitz fahren?«, schoss Tamar einen Pfeil aufs Geratewohl ab.
    »Sollte ich wohl«, antwortete Berndorf und unterdrückte ein Gähnen. Tamar betrachtete ihn forschend. Dann gab sie sich einen Ruck.
    »Find’ ich auch«, sagte sie dann. »Sie könnten nämlich einen Abstecher über Berlin machen. Das tut uns allen gut, wenn Sie dort waren.«
    So horcht man Leute aus, dachte Berndorf. Er lächelte. Das Lächeln sah etwas schief aus. Und traurig, dachte Tamar. »Tut mir Leid. Berlin ist zur Zeit kein Thema für mich, und ihr müsst mich ertragen, wie ich bin.« Er zögerte kurz. »Barbara
ist in den USA, in New Haven, Connecticut, und betreut dort ein Forschungsprojekt, das mit der Yale-University läuft. Sie wird wohl noch einige Monate drüben bleiben.«
    »Oh«, sagte Tamar. Ob sie sagen sollte, dass ihr das Leid tue. »Find’ ich toll«, sagte sie stattdessen. »Erzählen Sie mir etwas davon?«
    »Es geht darum, wer in einer Stadt das Sagen hat. Und warum«, antwortete Berndorf. »In den Fünfzigerjahren ist das einmal für New Haven untersucht worden. Barbara will wissen, wie sich das verändert hat. Und was dabei die Unterschiede zu einer deutschen Stadt wie zum Beispiel Duisburg sind.« »Schade, dass sie nicht Ulm genommen hat«, sagte Tamar. »Sie könnten ihr einiges erzählen über die Leute, die hier das Sagen haben.«
    »Sie hat es nicht so mit Ulm«, antwortete Berndorf seufzend. Dann stand er auf und holte seinen Mantel. Gemeinsam verließen sie das Büro. Auf dem Innenhof des Neuen Baues verabschiedete sich Tamar; ihr Freund, der junge Oberarzt aus der Universitätsklinik, wartete mit seinem Wagen draußen. Sie seien zum Squash verabredet, sagte sie noch und entfernte sich langbeinig. Berndorf blickte ihr nach. Das lange kastanienbraune Haar, zu einem Pferdeschwanz gebunden, war das Letzte, was er von ihr sah.
    Squash, dummes Zeug, dachte er. Vögeln werdet ihr.
    Langsam ging er am hell erleuchteten Stadthaus vorbei und überquerte den weiten Platz vor dem mächtigen Münster, dessen Turmaufgänge sich schwindelerregend im nächtlichen Himmel zu verlieren schienen. Vor kurzem war er bei einem Poetry Slam im »Roten Bären« gewesen, dem Szene-Lokal der in der Stadt verbliebenen 68er; einer der tollkühnen Amateure hatte sich am Münster versucht:
    Im Lichterdunst schwebt Albgestein
Die kahle Felsennadel kratzt
Dem Vollmond knapp am Arsch vorbei
    So, ungefähr, hatte der erste Vers gelautet. Aber es waren noch ein paar Tage bis Vollmond.
    Außer Berndorf war kaum ein Mensch unterwegs. Die Geschäfte in der Platzgasse hatten bereits geschlossen. Das Leben hatte sich in Tonios kleines italienisches Café geflüchtet, sofern das Leben aus karierten Maklern, unechten Blondinen und den Anwälten bestand, die rund um das Justizgebäude nach einem Auftrag für eine Pflichtverteidigung lauerten. An der oberen Ecke der Theke sah Berndorf das notorische Liebespaar, beide einander schon so lange treu, dass die Jeans nicht mehr so richtig passten, und beide noch immer verheiratet, nur nicht miteinander.
     
    An einem der kleinen Wandtische saß ein Mann mit auffällig kurz geschorenem Haar. Es war Frentzel. Er trug eine Halbbrille, die jetzt etwas herabgerutscht war, und wie immer um diese Zeit blickten die Augen über den schweren Tränensäcken gerötet und verschwommen. Frentzel war der Gerichtsreporter des Tagblatts, und solange er in nur halb betrunkenem Zustand schrieb, mochte es Berndorf gerne lesen.
    Berndorf setzte sich zu ihm. Tonio brachte einen Whisky, wie immer ohne Eis und ohne Soda.
    »Das dürfen die

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