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Der Schatten erhebt sich

Der Schatten erhebt sich

Titel: Der Schatten erhebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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freischwebenden Steinbalkonen. Auf den Stellplätzen warteten die Planwagen abfahrbereit. Schiffe drängten sich im großen Hafen und in den Wasserfingern, die sich zwischen die Halbinseln der Stadt schoben. Sie lagen vertäut an den Kaimauern. Alles schien in ziemlich schlechtem Zustand, von den Planwagen angefangen bis zu den Schiffen. Doch nichts von dem Gesehenen deutete irgendwie auf die Schwarzen Ajah hin. Jedenfalls, soweit sie es erkennen konnte.
    Sie überlegte, ob sie sich Liandrin vorstellen solle. Sie kannte dieses Puppengesicht nur zu gut, mit der Unzahl goldener Zöpfe, den selbstzufrieden dreinblickenden braunen Augen und dem spöttisch verzogenen Rosenknospenmund. Wenn sie sich die Schwarze vorstellte, würde sie vielleicht dorthin gezogen, wo diese sich befand. Aber wenn es klappte, fand sie vielleicht Liandrin und die anderen ebenfalls in Tel'aran'rhiod vor. Darauf war sie noch nicht vorbereitet.
    Mit einemmal wurde ihr klar, daß sie ja die Schwarzen Ajah, falls sich eine davon im Tanchico von Tel'aran'rhiod aufhielt, geradezu auf sich aufmerksam machte. Jeder, der auch nur einen Moment lang zum Himmel aufblickte, würde eine fliegende Frau entdecken, und noch dazu eine, die nicht nach ein paar Augenblicken wieder verschwand. Ihr flüssiges Dahinschweben stockte, und sie flog niedriger, unter der Dachgrenze, langsamer als vorher, aber immer noch schneller, als ein Pferd galoppieren konnte. Vielleicht flog sie ihnen nun direkt in die Arme, aber nur dasitzen und auf sie warten konnte sie nicht.
    Dumme Gans! ging sie mit sich selbst zornig ins Gericht. Närrin! Mittlerweile wissen sie vielleicht, daß ich hier bin. Möglich, daß die Falle für mich schon bereit ist. Sie überlegte, ob sie einfach aus dem Traum aussteigen und zu ihrem Bett in Tear zurückkehren sollte, aber sie hatte ja immer noch nichts gefunden. Falls es überhaupt etwas zu finden gab.
    Plötzlich stand eine hochgewachsene Frau vor ihr auf der Straße. Sie war schlank, obwohl sie einen bauschigen braunen Rock trug und darüber eine lose hängende weiße Bluse. Um die Schultern lag eine braune Stola, und um die Stirn hatte sie einen Schal gewickelt, der das weiße Haar zurückhielt, das ihr bis zur Taille hinunterreichte. Zu dieser einfachen Kleidung trug sie jedoch eine Menge Halsketten und Armreifen aus Gold oder Elfenbein oder beidem. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften und sah Egwene mit gerunzelter Stirn an.
    Noch so eine närrische Frau, die sich an einen Ort geträumt hat, wo sie gar nicht sein sollte, und die nun ihren Augen nicht traut, dachte Egwene. Sie hatte Beschreibungen aller Frauen, die mit Liandrin gegangen waren, und diese Frau entsprach keiner davon. Doch sie verschwand nicht einfach wieder, sondern blieb stehen, als Egwene schnell näher kam. Warum verschwindet sie nicht? Warum...? O Licht! Das ist ja...! Sie griff überhastet nach Strängen der Macht, um Blitze daraus zu weben oder die Frau mit verfestigter Luft zu fesseln, aber in ihrer Eile und Überraschung verhedderte sie sich selbst darin.
    »Stellt Eure Füße endlich auf den Boden, Mädchen«, kommandierte die Frau. »Ich hatte schon genug Schwierigkeiten damit, Euch wiederzufinden, ohne daß Ihr auch noch wie ein Vogel wegflattern müßt, wenn ich es endlich geschafft habe.« Plötzlich endete Egwenes Flug. Ihre Füße schlugen hart auf dem Pflaster auf, und sie kam ins Taumeln. Es war die Stimme der Aielfrau, doch dies hier war eine ältere Frau. Nicht ganz so alt, wie Egwene zuerst geglaubt hatte, da sie viel jünger aussah, als ihr weißes Haar andeutete, aber bei der Stimme und diesen scharf blickenden blauen Augen war sie sicher, daß es sich um dieselbe Frau handelte. »Ihr seid... anders«, sagte sie.
    »Hier könnt Ihr sein, was Ihr wollt.« Die Frau klang verlegen, wenn auch nur ein wenig. »Manchmal erinnere ich mich gern... Aber das ist unwichtig. Ihr kommt von der Weißen Burg? Es ist schon lange her, daß sie eine Traumgängerin hatten. Sehr lange. Ich bin Amys von der Neun-Täler-Septime der Taardad Aiel.« »Ihr seid eine Weise Frau? Tatsächlich! Und Ihr kennt Euch mit Träumen aus, kennt Tel'aran'rhiod! Ihr könnt... Ich heiße Egwene. Egwene al'Vere. Ich...« Sie holte tief Luft. Amys wirkte nicht wie eine Frau, die man anlügen sollte. »Ich bin eine Aes Sedai. Von den Grünen Ajah.« Amys Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Höchstens vertieften sich die Fältchen um ihre Augen ein wenig. Sie war wohl doch etwas skeptisch. Egwene

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