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Der Schatten erhebt sich

Der Schatten erhebt sich

Titel: Der Schatten erhebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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wirklich gar nichts!
    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich ein Stall. Der weiße Verputz hatte große Lücken, durch die Backsteinmauern sichtbar waren. Sie schlenderte hinüber und öffnete einen der breiten Türflügel. Der ansonsten blanke Erdboden war von Stroh bedeckt, genau wie in jedem anderen Stall, aber die Boxen standen leer. Keine Pferde. Warum? Etwas raschelte im Stroh, und ihr wurde klar, daß die Boxen doch nicht gänzlich leer waren. Ratten. Dutzende von Ratten blickten sie furchtlos an und streckten die Schnauzen schnuppernd in die Luft. Keine einzige Ratte rannte fort oder scheute auch nur vor ihr zurück. Sie verhielten sich, als hätten sie hier mehr Rechte als sie. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück. Tauben und Möwen und Hände, Fliegen und Ratten. Vielleicht wüßte eine Weise Frau, was das alles zu bedeuten hat.
    Und bei diesem Gedanken war sie plötzlich wieder in der Wüste. Mit einem Schrei fiel sie platt auf den Rücken, denn diese borstige, keilerähnliche Kreatur rannte plötzlich geradewegs auf sie zu. Sie war so groß wie ein kleines Pferd. Es war doch kein Schwein. Sie wußte das in dem Moment, als das Tier geschickt über sie hinwegsprang. Die Schnauze war zu lang und voller spitzer Zähne, und es hatte vier Zehen an jedem Fuß. In Gedanken war sie ganz ruhig, doch sie schauderte noch, während das Tier zwischen den Felsen hindurch davonrannte. Es war groß genug gewesen, um sie zu zertrampeln, um ihre Knochen zu brechen oder, noch schlimmer, um sie mit diesen Zähnen zu zerreißen, wie es auch ein Wolf nicht besser hätte fertigbringen können. Sie wäre dann mit Wunden bedeckt aufgewacht. Falls sie überhaupt noch einmal erwacht wäre.
    Der bröcklige Felsboden unter ihrem Hinterteil war heiß wie eine Herdplatte. Sie rappelte sich hoch, wobei sie sich über sich selbst ärgerte. Wenn sie sich nicht auf das konzentrieren konnte, was sie gerade tat, würde sie nie etwas erreichen. Sie sollte sich in Tanchico befinden, und nur das durfte sie im Kopf haben. Sonst nichts.
    Sie hörte auf, ihr Kleid auszuklopfen, als sie bemerkte, daß die Aielfrau sie aus zehn Schritt Entfernung mit ihren scharfen blauen Augen beobachtete. Die Frau war etwa genauso alt wie Aviendha und damit nicht älter als sie selbst. Die Haarsträhnen, die unter ihrer Schufa hervorschauten, waren allerdings bleich, beinahe weiß. Den Speer hielt sie wurfbereit in der Hand, und Egwene glaubte nicht, daß sie ihr Ziel auf so kurze Entfernung verfehlen würde.
    Man sagte den Aiel nach, daß sie mit denjenigen kurzen Prozeß machten, die ohne Erlaubnis ihre Wüste betraten. Egwene wußte, daß sie wohl Frau und Speer in verfestigte Luft einschließen und dort festhalten konnte, aber würden die Stränge lang genug halten, wenn sie sich hier aufzulösen begann, um den Rückweg nach Tanchico anzutreten? Oder würde ihr Manöver die Frau so wütend machen, daß sie ihren Speer im ersten möglichen Augenblick warf, vielleicht, bevor sie vollends verschwunden war? Das müßte ja ein ganz tolles Gefühl sein, von einem Aielspeer durchbohrt nach Tanchico zurückzukehren! Doch wenn sie die Stränge abnabelte, wäre die Frau in Tel'aran'rhiod gefangen, bis sie sie wieder befreite. Sie wäre hilflos, falls der Löwe oder die keilerähnliche Kreatur zurückkämen.
    Nein. Es war einfach notwendig, daß die Frau ihren Speer senkte, wenigstens lang genug, daß sie mit gutem Gewissen die Augen schließen konnte, um sich nach Tanchico zurückzuträumen. Zurück an ihre eigentliche Aufgabe. Sie hatte für solche Ausflüge einfach keine Zeit mehr. Sie war sich nicht einmal ganz sicher, ob ein Mensch, der genau wie sie selbst durch einen Traum den Weg nach Tel'aran'rhiod gefunden hatte, ihr genauso gefährlich werden konnte wie die anderen Dinge der Welt der Träume, aber sie wollte lieber jetzt nicht das Risiko eingehen, das mit Hilfe einer Aiel-Speerspitze herauszufinden. Die Aielfrau sollte eigentlich in wenigen Augenblicken wieder verschwinden. Also mußte sie sie bis dahin ablenken.
    Ihre Kleidung zu wechseln war leicht. Sobald sie daran dachte, trug sie auch schon die gleichen Grau- und Brauntöne wie die andere Frau. »Ich will Euch nichts antun«, sagte sie äußerlich gelassen.
    Die Frau senkte ihre Waffe keineswegs. Statt dessen runzelte sie die Stirn und sagte: »Ihr habt kein Recht, Cadin'sor zu tragen, Mädchen.« Und dann stand Egwene mit einemmal nackt da. Die Sonne brannte von oben auf sie herab,

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