Der Schatten erhebt sich
sprach, kamen die Worte eigenartig zögernd heraus: »Ihr werdet jemanden brauchen, der euch in Tanchico hilft. Jemand, der die Straßenräuber aus Tarabon davon abhält, euch ein Messer in den Rücken zu stoßen, um an eure Geldbeutel zu kommen. Tanchico war schon eine solche Stadt, bevor der Krieg begann, und allen Informationen nach geht es dort mittlerweile noch viel schlimmer zu. Ich könnte... Ich könnte dich beschützen, Nynaeve.« Elaynes Augenbrauen schossen hoch. Er wollte doch wohl nicht vorschlagen... Das konnte einfach nicht sein.
Nynaeve ließ sich nichts anmerken, daß er etwas Außergewöhnliches gesagt hatte. »Dein Platz ist bei Moiraine.« »Moiraine.« Schweiß stand auf dem harten Gesicht des Behüters. Er kämpfte mit den Worten. »Ich kann... ich muß... Nynaeve, ich... ich... « »Du wirst bei Moiraine bleiben«, sagte Nynaeve in scharfem Ton, »bis sie dich von deinem Eid entbindet. Du tust, was ich sage.« Sie zog ein sorgfältig gefaltetes Blatt aus ihrer Tasche und gab es ihm in die Hand. Er runzelte die Stirn, las, was darauf stand, blinzelte und las es noch mal.
Elayne wußte, was darauf stand.
Was die Trägerin tut, geschieht auf meinen Befehl hin,
und ich trage dafür die Verantwortung.
Gehorcht und schweigt gemäß meinem Befehl.
Siuan Sanche Wächterin über die Siegel Flamme von Tar Valon Der Amyrlin-Sitz Ein weiterer Brief gleichen Wortlauts steckte in Egwenes Tasche, aber beide waren nicht sicher, daß ihnen das Schreiben dort etwas nützen würde, wo sie sich hinbegaben. »Aber das gestattet euch ja, alles zu tun, was euch gefällt«, protestierte Lan. »Ihr könnt im Namen der Amyrlin sprechen! Wieso gibt sie einer Aufgenommenen so etwas in die Hand?« »Stelle mir keine Fragen, denn ich kann sie nicht beantworten«, sagte Nynaeve. Dann fügte sie mit der Andeutung eines Grinsens hinzu: »Schätze dich lieber glücklich, daß ich dir nicht befehle, nach meiner Pfeife zu tanzen.« Elayne unterdrückte ein Lächeln. Egwene gab einen erstickten Laut von sich, als habe sie ihr Lachen gerade heruntergeschluckt. Das waren die Worte gewesen, die Nynaeve benutzt hatte, als ihnen die Amyrlin die Schreiben aushändigte. Damit könnte ich einen Behüter nach meiner Pfeife tanzen lassen. Keine von ihnen hatte damals Zweifel gehabt, welchen Behüter sie im Sinn hatte.
»Tust du das nicht? Du stellst mich glatt in die Ecke. Mein Eid, und damit hat sich's. Und dieser Brief.« Lan hatte ein gefährliches Funkeln im Blick, das Nynaeve nicht zu bemerken schien, als sie ihm den Brief wieder abnahm und in ihre Gürteltasche zurücksteckte.
»Du bist so selbstgerecht, al'Lan Mandragoran. Wir tun, was wir tun müssen, und du wirst dich nicht anders verhalten.« »Selbstgerecht, Nynaeve al'Meara? Ich bin selbstgerecht?« Lan bewegte sich so schnell auf Nynaeve zu, daß ihn Elayne beinahe unwillkürlich mit Strängen der Luft gefesselt hätte. Im ersten Augenblick stand Nynaeve da und hatte gerade noch Zeit, die Augen aufzureißen, als der hochgewachsene Mann auf sie zusprang, und im nächsten baumelten ihre Schuhe einen Fuß über dem Boden, und sie wurde gründlichst geküßt. Zuerst trat sie ihm ans Schienbein, hämmerte mit den Fäusten auf ihn ein und gab erstickte, wütende Protestlaute von sich, doch dann wurden ihre Tritte schwächer und hörten ganz auf. Schließlich hielt sie sich an seinen Schultern fest und protestierte absolut nicht mehr.
Egwene senkte verlegen den Blick, aber Elayne sah interessiert zu. Hatte sie genauso ausgesehen, als Rand... Nein! Ich werde nicht an ihn denken. Sie fragte sich, ob noch Zeit war, ihm einen weiteren Brief zu schreiben, in dem sie alles zurücknahm, was sie im ersten geschrieben hatte und ihn wissen ließ, daß er sie nicht so auf die leichte Schulter nehmen dürfe. Aber wollte sie das wirklich?
Nach einer Weile stellte Lan Nynaeve wieder auf den Boden. Sie schwankte ein wenig, doch dann strich sie sich Kleid und Haare wütend glatt. »Du hast kein Recht...«, begann sie etwas atemlos, schluckte jedoch dann erst einmal. »Ich lasse mich doch nicht so vor aller Welt... be... behandeln! Das lasse ich mir nicht gefallen!« »Nicht vor aller Welt«, antwortete er. »Aber wenn sie zuschauen können, können sie es auch ruhig hören. Du hast einen Platz in meinem Herzen gewonnen, obwohl ich glaubte, dort sei kein Raum für eine Frau. Du hast Blumen erblühen lassen, wo ich nur Staub und Steine düngte. Denk daran auf dieser Reise, die du unbedingt
Weitere Kostenlose Bücher