Der Schatten erhebt sich
unternehmen willst. Falls du stirbst, werde ich dich nicht lang überleben.« Er schenkte Nynaeve eines seiner seltenen Lächeln. Das ließ sein Gesicht nicht unbedingt weicher erscheinen - nur etwas weniger hart. »Und denke auch daran, daß ich mich nicht immer so leicht herumkommandieren lasse, nicht einmal mit einem Brief der Amyrlin in der Hand.« Er machte eine elegante Verbeugung. Einen Moment lang glaubte Elayne sogar, er wolle auf ein Knie herabsinken und Nynaeves Ring mit der Großen Schlange küssen, doch das ließ er bleiben. »Wie Ihr befehlt«, murmelte er, »so werde ich gehorchen.« Es war schwer zu sagen, ob er das spöttisch meinte oder ernst.
Sobald sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sank Nynaeve auf ihre Bettkante, als versagten ihr nun endlich die Knie. Sie blickte mit nachdenklich gerunzelter Stirn die Tür an.
»›Wenn du den friedlichsten Hund einmal zu oft trittst‹«, zitierte Elayne, »›dann beißt er.‹ Nicht, daß Lan besonders friedlich ist.« Sie bekam einen scharfen Blick und ein Schniefen von Nynaeve ab.
»Er ist unerträglich«, sagte Egwene. »Manchmal ist er das wirklich. Nynaeve, warum hast du das getan? Er war bereit, mit dir zu kommen. Ich weiß, daß du nichts lieber tätest, als ihn von Moiraine wegzuholen. Streite es gar nicht erst ab.« Nynaeve stritt es nicht ab. Statt dessen fummelte sie an ihrem Kleid herum und strich die Bettdecke glatt. »Nicht auf diese Art«, sagte sie schließlich. »Ich will, daß er mir gehört. Der ganze Lan. Ich werde nicht zulassen, daß er immer einen Meineid Moiraine gegenüber mitschleppt. Das darf nicht zwischen uns stehen. Das ist wichtig für ihn und auch für mich.« »Aber wird sich das ändern, wenn du ihn dazu bringst, daß er Moiraine bittet, ihn von seinem Eid zu entbinden?« fragte Egwene. »Lan ist die Art von Mann, die das genauso betrachtet wie du. Es bleibt eigentlich nichts anderes übrig, als sie irgendwie dazu zu bringen, daß sie ihn aus eigenem Antrieb laufen läßt. Wie könntest du das erreichen?« »Ich weiß nicht.« Nynaeve atmete durch und ihre Stimme klang wieder fester: »Aber was sein muß, kann erreicht werden. Es gibt immer einen Weg. Doch das wird später kommen. Es gibt Arbeit zu tun, und wir sitzen hier und klatschen über Männer. Bist du sicher, daß du alles eingepackt hast, was du in der Wüste brauchst, Egwene?« »Aviendha richtet alles her«, sagte Egwene. »Sie scheint immer noch unglücklich, aber sie sagt, wir könnten Rhuidean in wenig mehr als einem Monat erreichen, wenn wir Glück haben. Ihr werdet dann auch in Tanchico sein.« »Vielleicht früher«, sagte Elayne, »falls es stimmt, was man sich über die Schiffe des Meervolks erzählt. Du wirst doch vorsichtig sein, Egwene? Selbst mit einer Aviendha als Führerin ist die Wüste noch lange kein sicherer Ort.« »Werde ich. Ihr aber bitte auch. Beide! Tanchico ist wohl auch jetzt kaum sicherer als die Wüste.« Plötzlich lagen sie sich alle in den Armen, mahnten sich immer wieder gegenseitig zur Vorsicht und versicherten sich, ihren Plan genau im Kopf zu haben, wie sie sich in Tel'aran'rhiod treffen wollten - im dortigen Stein von Tear.
Elayne wischte sich Tränen von den Wangen. »Gut, daß Lan gegangen ist und das nicht sieht.« Sie lachte melodisch. »Er würde uns alle für närrisch halten.« »Nein, würde er nicht«, warf Nynaeve ein. Sie war dabei, ihren Rock hochzuziehen, um einen Beutel mit Gold in die eingenähte Tasche zu stecken. »Er ist wohl ein Mann, aber doch nicht völlig gefühllos.« Es mußte doch ein wenig Zeit bleiben, bevor die Kutsche abfuhr, sagte sich Elayne, und da wollte sie Papier und eine Feder auftreiben. Sie würde sich die Zeit nehmen. Nynaeve hatte recht. Männer brauchten eine feste Hand. Rand würde schon merken, daß er ihr nicht so schnell entkommen konnte. Und er würde feststellen, wie schwer es war, ihre Gunst wiederzuerlangen.
KAPITEL
17
Irrtümer
T hom verlagerte sein Gewicht weg von seinem steifen rechten Bein und verbeugte sich mit weit gespreiztem Gauklerumhang. Die bunten Flicken flatterten bei der Bewegung. Er hätte sich gern die Augen ausgewischt, doch statt dessen sagte er in heiterem Tonfall: »Einen schönen guten Morgen wünsche ich!« Er richtete sich auf und strich mit großer Geste über seinen langen, weißen Schnurrbart.
Die in Schwarz und Gold gekleideten Diener blickten überrascht drein. Die beiden kräftigen jungen Burschen richteten sich von der
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