Der Schatten erhebt sich
nach Tanchico wollen?« Nynaeve schnaubte. »Nein, sonst wären sie nicht mehr so zuversichtlich, denke ich. Und ich möchte es ihnen lieber nicht eher sagen, als es unbedingt sein muß.« Sie warf Elayne einen bedeutungsvollen Blick zu. So mußte sie gar nicht erst sagen, daß sie es der Segelherrin auch nicht mitgeteilt hätte, wäre es ihr überlassen worden. »Hier ist auch eine Redensart für dich: ›Leih dir Schwierigkeiten aus, und du zahlst sie zehnfach zurück.‹« »Du redest, als vertrautest du ihnen nicht, Nynaeve.« Beinahe wäre ihr entschlüpft, daß Nynaeve sich wie Moiraine benehme, aber das würde ihr die andere denn doch übelnehmen.
»Können wir das denn? Juilin Sandar hat uns schon einmal verraten. Ja, ja, ich weiß, daß kein Mann das hätte vermeiden können, aber es stimmt ja trotzdem. Und Liandrin und die anderen kennen sein Aussehen. Wir müssen ihn in andere Kleidung stecken. Vielleicht muß er sich die Haare länger wachsen lassen. Und noch ein Schnurrbart dazu, so wie dieses Unkraut, das der Gaukler im Gesicht trägt. Das könnte reichen.« »Und Thom Merrilin?« fragte Elayne. »Ich glaube, wir können ihm vertrauen. Ich weiß nicht, warum, aber ich traue ihm.« »Er hat zugegeben, von Moiraine geschickt worden zu sein«, sagte Nynaeve erschöpft. »Aber was hat er nicht alles schon zugegeben? Was hat sie ihm gesagt, was er uns nicht weitersagte? Soll er uns helfen, oder was sonst?
Moiraine hat ihr Spielchen schon so oft gespielt, daß ich ihr nur soviel mehr glaube als Liandrin.« Sie hielt Daumen und Zeigefinger in geringem Abstand hoch. »Sie wird uns benützen - sowohl dich wie mich - und uns fertigmachen lassen, sofern es Rand hilft. Oder besser, wenn es ihre Pläne mit Rand fördert. Wenn sie könnte, würde sie ihn ja wie ein Schoßhündchen an die Leine legen.« »Moiraine weiß genau, was zu tun ist, Nynaeve.« Ausnahmsweise zögerte sie aber doch, dies zuzugeben. Was Moiraine als die richtige Vorgehensweise kannte, würde möglicherweise Rand noch schneller auf Tarmon Gai'don zutreiben. Vielleicht zu seinem schnelleren Tod führen. Rand saß auf der einen Waagschale, während auf der anderen die ganze Welt lag. Es war idiotisch - närrisch und kindisch - wenn sie es so sah, daß die Gewichte gleichmäßig verteilt seien. Doch sie wagte nicht, sich vorzustellen, wie die Waagschalen in Bewegung gerieten, denn sie war sich nicht sicher, wer dann am Ende oben und wer unten schweben würde. »Sie weiß es besser als er«, sagte sie und bemühte sich, ihre Stimme klar und entschlossen wirken zu lassen, »besser als wir.« »Vielleicht«, seufzte Nynaeve. »Deshalb muß es mir noch lange nicht gefallen.« Am Bug wurden bereits die Leinen losgemacht, als mit einemmal dreieckige Segel herunterfielen, sich blähten, und der Wogentänzer vom Pier ablegte. Weitere Segel wurden herabgelassen, große weiße Rechtecke und Dreiecke, die Heckleinen wurden losgemacht, und in einem großen Bogen schwenkte das Schiff auf den Fluß hinaus, und zwischen vor Anker liegenden Schiffen hindurch beschrieb es eine elegante Kurve, bis es flußabwärts nach Süden gerichtet war. Die Meerleute behandelten ihr Schiff wie ein meisterhafter Reiter sein Pferd. Irgendwie bewegte dieses eigenartige Speichenrad wohl das Steuerruder, wenn einer der Seemänner mit nacktem Oberkörper daran drehte. Elayne war erleichtert zu sehen, daß ein Mann diese Arbeit verrichtete. Die Segelherrin und die Windsucherin standen auf der einen Seite des Rads. Coine gab gelegentlich Befehle. Manchmal beriet sie sich vorher mit ihrer Schwester. Toram sah ihnen eine Weile lang mit einem Gesicht zu, das wirkte, als sei es aus einer Decksplanke geschnitzt worden, und dann trottete er nach unten.
Auf dem Achterdeck stand ein Tairener, ein molliger, etwas verloren wirkender Mann in fadem gelben Mantel mit grauen Puffärmeln, der sich nervös die Hände rieb. Er war gerade noch an Bord geschubst worden, bevor man die Planke hochgehievt hatte. Das war der Lotse, der den Wogentänzer angeblich flußabwärts steuern sollte, wie es dem Gesetz Tears entsprach, denn kein Schiff durfte die Finger des Drachen passieren, das keinen solchen tairenischen Lotsen an Bord hatte. Diesen verlorenen Eindruck machte er allerdings deshalb, weil er zum Nichtstun verurteilt war, denn wenn er den Seeleuten irgendwelche Anweisungen gab, beachteten sie diese gar nicht.
Nynaeve knurrte etwas von Nachsehen, wie ihre Kabine aussehe, und ging hinunter unter
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