Der Schatten erhebt sich
unsichtbaren Gefängnisses. Ihr Gesicht war fast so weiß wie ihr spärliches Seidenhemd. Polster, Stiefel und Buch lagen samt ihrem Gewand in wildem Durcheinander zu ihren Füßen.
»So sehr ich das auch bedaure«, sagte er zu ihr, »aber wir werden uns künftig nur noch in der Öffentlichkeit unterhalten, Lady Berelain.« Er bedauerte es tatsächlich. Was sie auch vorhatte - sie war wirklich schön! Seng mich, was bin ich doch für ein Narr! Er war sich selbst nicht ganz im klaren darüber, wie er das gemeint hatte: ihrer Schönheit wegen oder weil er sie wegschickte. »Es ist wahrscheinlich sogar besser, Ihr arrangiert Eure Rückreise nach Mayene so bald wie möglich. Ich verspreche Euch, daß Tear Mayene künftig keine Schwierigkeiten mehr bereiten wird. Ihr habt mein Wort darauf.« Das Versprechen konnte höchstens zeit seines Lebens Gültigkeit haben, oder möglicherweise nur, solange er sich im Stein befand, doch irgend etwas mußte er ihr nun bieten. Ein Pflaster für verletzten Stolz, ein Geschenk, um sie von ihrer Angst abzulenken.
Aber zumindest äußerlich hatte sie sich bereits wieder unter Kontrolle. Ehrlichkeit und Offenheit standen nun in ihrem Gesicht geschrieben, und alles Bemühen, ihn zu verführen, war daraus verschwunden. »Vergebt mir. Ich habe das sehr schlecht angefangen. Ich wollte Euch nicht beleidigen. In meinem Land sagt eine Frau einem Mann ganz offen, was sie will, und umgekehrt natürlich auch. Rand, Ihr müßt doch wissen, daß Ihr ein gutaussehender Mann seid, groß und stattlich. Ich wäre diejenige, die aus Stein bestünde, wenn mir das nicht aufgefallen wäre. Bitte schickt mich nicht weg. Wenn Ihr wünscht, bitte ich Euch auf Knien darum.« Mit einer geschmeidigen, tänzerischen Bewegung kniete sie in ihrem Gefängnis nieder. Ihr Gesichtsausdruck besagte immer noch, daß sie ganz offen sei, alles gestehe, aber andererseits hatte sie es fertiggebracht, im Niederknien ihr sowieso schon knappes Hemd noch weiter herabzuziehen, bis es den Eindruck erweckte, jeden Moment ganz herunterfallen zu können.
»Bitte, Rand?« Sogar so im Nichts geborgen, starrte er sie mit offenem Mund an, und das hatte nichts mit ihrer Schönheit zu tun oder mit dem Zustand ihrer Bekleidung. Oder nur ein wenig. Wären die Verteidiger des Steins nur halb so entschlossen in den Kampf gegangen wie diese Frau, nur halb so standhaft wie sie, dann hätten auch zehntausend Aiel den Stein nicht erobert.
»Ihr schmeichelt mir, Lady Berelain«, sagte er diplomatisch. »Glaubt mir, Ihr schmeichelt mir wirklich. Aber es wäre nicht fair Euch gegenüber. Ich kann Euch nicht geben, was Ihr verdient.« Und das kann sie verstehen, wie sie will.
Draußen in der Dunkelheit krähte ein Hahn.
Zu Rands Überraschung starrte Berelain plötzlich an ihm vorbei etwas mit weit aufgerissenen Augen an. Ihr Mund öffnete sich und ihr Hals zog sich in einem Schrei zusammen, der nicht herauskam. Er wirbelte herum, und das gelbrote Schwert flammte wieder in seiner Hand auf.
Auf der anderen Seite des Zimmers warf einer der hohen Standspiegel sein Bild zurück, das eines hochgewachsenen jungen Mannes mit rötlichem Haar und grauen Augen, der nur dünne Leinenunterwäsche trug und ein aus Flammen geschmiedetes Schwert in Händen hielt. Das Spiegelbild trat aus der glänzenden Glasfläche heraus und hob das Schwert.
Ich bin übergeschnappt! Der Gedanke trieb am Rande des Nichts entlang. Nein! Sie hat es auch gesehen. Es ist Wirklichkeit.
Eine Bewegung zu seiner Linken ließ ihn herumfahren. Er bewegte sich automatisch und vollführte mit dem Schwert ›Der Mond erhebt sich über den Wassern‹. Die Klinge schlitzte die Gestalt auf - seine Gestalt -, die aus einem Spiegel an der Wand geklettert war. Ihr Umriß verschwamm, zerfiel in durch die Luft treibende Staubkörner und verschwand. Rands Spiegelbild erschien wieder im Spiegel selbst, ergriff aber im gleichen Moment schon wieder mit beiden Händen den Spiegelrahmen. Überall im Raum kam Bewegung in die Spiegel.
Verzweifelt stach er in den nächststehenden Spiegel. Das versilberte Glas splitterte, doch ihm schien es, daß die Gestalt darin zuerst zersplittert war. Er glaubte, einen fernen Schrei in seinem Kopf gehört zu haben, den verklingenden Schrei seiner eigenen Stimme. Noch in dem Moment, als die Scherben herunterfielen, schlug er mit der Einen Macht zu. Jeder Spiegel im Raum explodierte lautlos, und Scherben spritzten durch die Luft und auf den Teppich. Wieder und wieder
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