Der Schatten erhebt sich
großer Höhe herabgestürzt, direkt auf den steinernen Boden. Und dann kamen die beiden anderen zur gleichen Zeit. Der Aufschlag warf ihn auf den Rücken, und so lag er da und starrte die Stuckdecke mit den vergoldeten Ecken an. Er genoß die Tatsache, daß er immer noch atmete.
Immer noch schwoll die Macht in jeder Faser seines Seins an. Er hätte am liebsten jedes Mahl herausgewürgt, das er je gegessen hatte. Er fühlte sich so voller sprühenden Lebens, daß im Vergleich dazu ein nicht von Saidin erfülltes Leben wie eine Schattenexistenz schien. Er roch das Bienenwachs der Kerzen und das Öl der Lampen. Er fühlte jede Faser des Teppichs an seinem Rücken. Er spürte jeden Schnitt, jeden Riß, jede Schramme in seiner Haut. Aber er klammerte sich an Saidin.
Einer der Verlorenen hatte versucht, ihn zu töten. Oder sogar alle zusammen. Das mußte es gewesen sein, es sei denn, der Dunkle König wäre bereits in Freiheit, aber dann hätte er wohl kaum nur einem einfachen Angriff wie diesem trotzen müssen. Also blieb er in Verbindung mit der Wahren Quelle. Und wenn ich das alles selbst getan habe? Kann ich das, was ich bin, so sehr hassen, daß ich versuche, mich selbst auf diese Art zu töten? Ohne daß ich es weiß? Licht, ich muß endlich lernen, meine Kräfte unter Kontrolle zu bringen. Ich muß!
Schmerzerfüllt drückte er sich hoch. Er hinterließ auf dem Teppich blutige Fußabdrücke, als er zu dem Ständer hinüberhumpelte, auf dem Callandor ruhte. Blut aus Hunderten von Schnitten lief über seinen Körper. Er hob das Schwert auf, und seine glasige Länge wurde von der Macht erleuchtet, die hineinfloß. Das Schwert, Das Kein Schwert War. Die Klinge, augenscheinlich aus Glas gefertigt, konnte genau wie der beste Stahl schneiden, und doch war Callandor kein wirkliches Schwert, sondern ein Überbleibsel aus dem Zeitalter der Legenden, ein Sa'Angreal. Mit Hilfe der wenigen erhalten gebliebenen Angreal, die den Schattenkrieg und die Zerstörung der Welt überstanden hatten, war es möglich, Ströme der Macht zu beherrschen, die ohne diese Hilfe jeden zu Asche verbrannt hätten. Mit einem der noch selteneren Sa'Angreal konnte man den Strom der Macht noch einmal um genauso vieles mehr verstärken, wie mit einem Angreal dem Menschen gegenüber, der keine solchen Helfer hatte. Und Callandor, das nur von einem Mann zu gebrauchen war, und das über dreitausend Jahre von Legenden und Prophezeiungen hinweg mit dem Wiedergeborenen Drachen verknüpft gewesen war, war einer der stärksten Sa'Angreal, die man jemals angefertigt hatte. Mit Callandor in der Hand konnte er eine Stadtmauer mit einem Schlag einebnen. Mit Callandor in der Hand konnte er sogar einem der Verlorenen gegenübertreten. Das waren sie. Es muß so sein.
Plötzlich fiel ihm ein, daß er von Berelain die ganze Zeit über keinen Laut vernommen hatte. Er fürchtete beinahe, sie tot daliegen zu sehen, als er sich zu ihr umdrehte.
Sie zuckte unter seinem Blick zusammen. Wohl lag sie noch immer auf den Knien, hatte aber ihr Gewand wieder angelegt und um sich zusammengezogen wie einen schützenden Stahlpanzer oder wie eine Steinmauer. Ihr Gesicht war schneeweiß, und sie fuhr sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen. »Welcher seid...?« Sie schluckte und fing noch einmal von vorne an: »Welcher von denen...?« Sie war nicht in der Lage, ihre Frage auszusprechen.
»Ich bin der einzige«, sagte er sanft. »Derjenige, den Ihr behandelt habt, als seien wir verlobt.« Er wollte sie damit beruhigen und vielleicht zum Lächeln bringen. Sicher war doch eine so starke Frauenpersönlichkeit, als die sie sich erwiesen hatte, imstande, auch einen blutüberströmten Mann anzulächeln. Doch sie beugte sich vor und drückte ihr Gesicht auf den Fußboden.
»Ich bitte Euch untertänigst um Verzeihung, weil ich Euch so ungeheuerlich beleidigt habe, Lord Drache.« Ihre rauchige Stimme hörte sich demütig an und verängstigt dazu. Ganz anders als zuvor. »Ich bitte Euch, meine Beleidigung zu vergessen und zu vergeben. Ich werde Euch nicht mehr belästigen. Das schwöre ich, Lord Drache. Beim Namen meiner Mutter und beim Licht schwöre ich es Euch.« Er löste den vernabelten Strom der Macht. Aus den unsichtbaren Wänden um sie herum wurde wieder Luft. Ihr Gewand wurde einen Moment lang vom Luftzug bewegt. »Es gibt nichts, das ich Euch vergeben müßte«, sagte er erschöpft. Er war sehr, sehr müde. »Geht, wohin Ihr wollt.« Sie richtete sich zögernd auf,
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