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Der Schatten erhebt sich

Der Schatten erhebt sich

Titel: Der Schatten erhebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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sagen. Er konnte sich hinter dem verstecken, was er war; das mußte sie verstehen. Denn welcher Mann konnte eine Frau bitten, ihn zu heiraten, obwohl er wußte, daß er mit Glück nur ein paar Jahre vor sich hatte, bevor er wahnsinnig wurde, bevor er bei lebendigem Leib zu verfaulen begann? Er schauderte trotz der Hitze.
    Ich brauche Schlaf. Die Hochlords würden am Morgen zurückkehren und wieder um seine Gunst buhlen - um die Gunst des Wiedergeborenen Drachen. Vielleicht träume ich diesmal nicht. Er rollte sich herum und suchte nach einem trockenen Fleck auf dem Bettuch. Doch dann erstarrte er und lauschte einem leichten Rascheln in der Dunkelheit. Er war nicht allein.
    Das Schwert, Das Kein Schwert War, lag auf der anderen Seite des Zimmers, außerhalb seiner Reichweite, auf einem thronähnlichen Ständer, den ihm die Hochlords verehrt hatten, zweifellos in der Hoffnung, daß er Callandor irgendwo außer Sicht aufbewahren werde. Jemand will Callandor stehlen. Ein neuer Gedanke kam ihm. Oder den Wiedergeborenen Drachen töten. Er brauchte Thoms heimlich zugeflüsterte Warnungen nicht, um zu wissen, daß das Geschwätz der Hochlords von Loyalität nur der augenblicklichen Notwendigkeit entsprang.
    Er löste sich von allen Gedanken und Gefühlen und suchte das Nichts. Das ging mühelos. Als er in der kalten Leere in seinem Innern schwebte, Gedanken und Gefühle außerhalb zurücklassend, griff er nach der Wahren Quelle. Diesmal berührte er sie leicht, was nicht immer der Fall war.
    Saidin erfüllte ihn wie ein Strom weißer Glut, ließ ihn vor Leben sprühen, machte ihn krank mit der Fäulnis, mit der es der Dunkle König vergiftet hatte. Es war wie Schmutz, der an der Oberfläche klaren, sauberen Wassers schwamm. Der Strom drohte, ihn wegzuschwemmen, ihn zu verbrennen, ihn einzuschließen.
    Er kämpfte gegen die Flut an und meisterte sie mit reiner Willenskraft. Er ließ sich aus dem Bett fallen, landete auf den Füßen, benützte die Macht und nahm sofort eine Haltung ein, die er beim Schwertkampf unter dem Namen ›Apfelblüten im Wind‹ kennengelernt hatte. Es konnten sich nicht viele Feinde im Raum befinden, sonst hätten sie mehr Lärm gemacht; seine Haltung, die so wohlklingend umschrieben wurde, war aber trotzdem die eines Schwertkämpfers, der mehr als einem Gegner gegenübersteht.
    Als seine Füße den Teppich berührten, hielt er ein Schwert in der Hand. Es hatte einen langen Griff und eine leicht gekrümmte Klinge, die an einer Seite geschliffen war. Es sah aus, als sei es aus Feuer geschmiedet worden, fühlte sich aber nicht einmal warm an. Die Gestalt eines Reihers hob sich schwarz vom Gelb-Rot der Klinge ab. Im gleichen Moment entzündete sich jede Kerze, jede vergoldete Lampe im Raum, und die kleinen Spiegel hinter jeder einzelnen verstärkten den Lichtschein. Große Spiegel an den Wänden und zwei Spiegelständer reflektierten das Licht erneut, bis er bequem in jeder Ecke des großen Raums hätte lesen können.
    Callandors Ständer war mannshoch, aus kunstvoll geschnitztem Holz, vergoldet und mit kostbaren Edelsteinen eingelegt. Dort stand unberührt das Schwert, das ganz aus Glas angefertigt zu sein schien. Auch die übrige Einrichtung war vergoldet und mit Gemmen besetzt, selbst Bett und Stühle und Bänke, Kleiderschrank, Truhen und Waschtisch. Krug und Waschschüssel bestanden aus dem goldenem Porzellan der Meerleute und waren so dünn wie ein Blatt. Von dem breiten Teppich aus Tarabon mit seinen roten, goldenen und blauen Mustern hätte ein ganzes Dorf monatelang leben können. Auf beinahe jeder freien Fläche stand weiteres zerbrechliches Meervolk-Porzellan der Pokale und Schüsseln aus Gold, mit Silber eingelegt, oder aus vergoldetem Silber. Auf dem breiten Marmorsims über dem Kamin jagten zwei Silberwölfe mit Rubinaugen einen gut drei Fuß hohen goldenen Hirsch. Vor den engen Fenstern hingen Vorhänge aus scharlachroter Seide mit aufgestickten Adlern aus Goldfäden. Sie blähten sich leicht im nachlassenden Nachtwind. Wo noch Platz war, lagen Bücher, in Leder gebunden, in Holz gebunden, manche zerfleddert und noch voller Staub, wie er sie von den hintersten Regalbrettern der Bibliothek des Steins hatte herholen lassen.
    Wo er nun Attentäter oder Diebe zu sehen erwartet hatte, stand allein eine schöne junge Frau zögernd und überrascht in der Mitte des Raums. Das schwarze Haar fiel ihr in sanften Wellen auf die Schultern. Ihr dünner weißer Umhang enthüllte mehr, als er verbarg.

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