Der Schatten erhebt sich
ist er?« Lanfears schöner Mund verzog sich. »Ich wußte, er würde sich verraten, wenn er so in deinen Traum eindringt. Ich hätte alles geradegebogen, wenn nicht seine Panik... « »Ich wußte von Anfang an Bescheid«, unterbrach er sie. »Ich habe dies von dem Tag an erwartet, an dem wir den Stein von Tear verließen. Hier draußen, wo es jedem klarwerden mußte, daß ich nach Rhuidean und zu den Aiel wollte. Habt Ihr geglaubt, ich hätte nicht erwartet, daß mich einige von Euch verfolgen würden? Aber das ist meine Falle, Lanfear, und nicht Eure. Wo ist er?« Das letztere kam als kalter Schrei. Gefühle glitten unkontrolliert um das Nichts, das ihn im Innern schützte, die Leere, die nicht leer war, die von der Macht erfüllte Leere.
»Wenn du es wußtest«, fauchte sie zurück, »warum hast du ihn dann mit deinem Geschwätz verscheucht, du müßtest dein Schicksal erfüllen und tun, was getan werden muß?« Verachtung gab den Worten ein Gewicht, als seien sie Steine. »Ich habe Asmodean mitgebracht, um dich zu unterrichten, aber er war immer schon einer, der schnell zum nächsten Plan überging, wenn der erste nicht gleich auf Anhieb gelang. Jetzt glaubt er, er habe in Rhuidean etwas Besseres entdeckt. Und er ist fort, um es zu holen, solange du hier stehst. Couladin, der Draghkar, alles sollte deine Aufmerksamkeit binden, während er sich vergewisserte. Alle meine Pläne waren für nichts und wieder nichts, weil du so stur bist! Hast du eine Ahnung, welche Mühe es kosten wird, ihn noch einmal zu gewinnen? Aber es muß gerade er sein! Demandred oder Rahvin oder Sammael würden dich töten und gar nicht daran denken, dich auch nur darin zu unterrichten, wie du eine Hand hebst, außer sie hätten dich so sicher wie ein Schoßhündchen an der Leine!« Rhuidean. Ja. Natürlich. Rhuidean. Wie viele Wochen im Süden? Doch er hatte schon einmal etwas fertiggebracht. Wenn er sich nur daran erinnern könnte... »Und Ihr habt ihn gehen lassen? Nach all Eurem Gerede, Ihr wolltet mir helfen?« »Nicht offen, habe ich gesagt. Was könnte er in Rhuidean finden, das es lohnend für mich erscheinen ließe, mich offen zu bekennen? Es ist noch Zeit genug dafür, wenn du zustimmst, zu mir zu stehen. Denk daran, was ich dir gesagt habe, Lews Therin.« Ihre Stimme nahm einen verführerischen Tonfall an; diese vollen Lippen lächelten, die dunklen Augen versuchten, ihn wie grundlose Seen zu verschlingen. »Zwei große Sa'Angreal. Mit deren Hilfe und gemeinsam könnten wir...« Diesmal hörte sie von allein auf. Er hatte sich daran erinnert.
Mit Hilfe der Macht faltete er die Wirklichkeit und verbog ein kleines Stückchen dessen, was war. Eine Tür öffnete sich vor ihm unter der Kuppel. Anders konnte man es wohl nicht beschreiben. Eine Öffnung in die Dunkelheit, ins Anderswo.
»Wie es scheint, erinnerst du dich an ein paar Sachen.« Sie betrachtete die Tür und dann blickte sie ihn wieder an, aber mit einemmal mißtrauisch. »Warum hast du soviel Angst? Was ist dort in Rhuidean?« »Asmodean«, sagte er grimmig. Einen Moment lang zögerte er. Er konnte nicht aus der regenüberströmten Kuppel hinaussehen. Was geschah dort draußen? Und Lanfear. Wenn er sich nur daran erinnern könnte, wie er Egwene und Elayne abgeschirmt hatte. Wenn ich mich nur dazu zwingen könnte, eine Frau zu töten, nur weil sie mich finster anblickt. Sie ist doch eine der Verlorenen! Es war ihm jetzt genausowenig möglich wie zuvor im Stein.
Dann trat er durch die Tür, ließ sie draußen auf der Felsplatte stehen und schloß die Tür hinter sich. Zweifellos wußte sie, wie sie selbst eine solche Tür herbeirufen konnte, aber das zu tun, würde sie Zeit kosten.
KAPITEL
58
Die Fallen von Rhuidean
S obald die Tür verschwunden war, befand er sich in vollkommener Dunkelheit. Die Schwärze erstreckte sich in alle Richtungen, und doch konnte er sehen. Er nahm weder Wärme noch Kälte wahr, obwohl er ja naß war - überhaupt keine Sinneswahrnehmung. Er existierte nur. Einfache, graue Steinstufen erhoben sich vor ihm. Jede Stufe hing frei in der Luft, und so zog sich diese Treppe dahin, bis sie in der Entfernung nicht mehr zu sehen war. Er hatte so etwas schon zuvor gesehen, oder zumindest etwas Ähnliches, und er wußte, sie würde ihn dorthin führen, wo er hinwollte. So lief er die unmögliche Treppe empor, und immer wenn er den Fuß von einer Stufe hob und seinen feuchten Fußabdruck hinterließ, verblaßte diese Stufe hinter ihm und verschwand. Nur
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