Der Schatten erhebt sich
Tochter-Erbin von Andor. Sie wird Mutters Nachfolgerin als Königin. Andor braucht sie sicher und wohlbehalten, wenn sie den Thron besteigen soll, und nicht statt dessen wieder einen Streit um die Nachfolge.« Die Aes Sedai spielen? Offensichtlich war ihm die Tragweite des Talents seiner Schwester nicht klar. Die Tochter-Erbinnen von Andor waren seit Menschengedenken zur Ausbildung in die Burg gesandt worden, aber Elayne war die erste, die befähigt war, zur Aes Sedai erhoben zu werden, und zu einer mächtigen noch dazu. Sehr wahrscheinlich war ihm auch nicht klar, daß Egwene mindestens genauso stark war.
»Also willst du sie beschützen, ob sie will oder nicht?« Sie sagte das in einem Tonfall, der ihm deutlichmachen sollte, daß er einen Fehler beging, doch ihm entging das offensichtlich, und er nickte zustimmend.
»Das ist meine Pflicht gewesen, seit sie geboren wurde. Mein Blut muß vor ihrem fließen, mein Leben vor ihrem geopfert werden. Ich habe diesen Eid geleistet, als ich noch kaum über den Rand ihrer Wiege hinwegblicken konnte. Gareth Bryne mußte mir die Bedeutung erklären. Ich werde diesen Eid doch jetzt nicht brechen. Andor hat sie nötiger als mich.« Er sprach mit einer ruhigen Bestimmtheit, nahm gelassen etwas als natürlich und richtig hin, was ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Sie hatte ihn immer für jungenhaft gehalten, wie er so gern lachte und alle neckte, aber jetzt war er wie ein Fremder für sie. Sie glaubte, der Schöpfer müsse wohl müde gewesen sein, als er die Männer schuf. Manchmal erschienen sie ihr kaum noch menschlich. »Und Egwene? Welchen Eid hast du ihretwegen geleistet?« Sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht, nur trat er nervös von einem Fuß auf den anderen. »Ich mache mir natürlich auch Sorgen um Egwene. Und um Nynaeve. Was mit Elaynes Begleiterinnen geschieht, könnte auch Elayne passieren. Ich denke, sie sind noch immer beieinander. Als sie noch hier waren, habe ich nur selten die eine ohne die anderen zu Gesicht bekommen.« »Meine Mutter hat mir immer geraten, ich solle einen schlechten Lügner heiraten. Du kommst dafür sicherlich in Frage. Allerdings glaube ich, daß jemand anders mich da ausstechen wird.« »Manche Dinge sind vorbestimmt«, sagte er ruhig, »und manche können niemals sein. Galad hat großen Kummer, weil Egwene weg ist.« Galad war sein Halbbruder. Die beiden waren nach Tar Valon gesandt worden, um unter Anleitung der Behüter zu lernen. Das war eine weitere Tradition in Andor. Galadedrid Damodred war in Mins Augen ein Mann, der bis zum Erbrechen immer nur das Richtige tat, aber Gawyn sah darin nichts Schlechtes. Und er sprach nicht über seine Gefühle für eine Frau, auf die Galad ein Auge geworfen hatte.
Sie hätte ihn am liebsten geschüttelt, etwas Vernunft in ihn hineingeprügelt, aber dazu war jetzt nicht die Zeit. Nicht, wenn die Amyrlin wartete, und nicht bei dem, was sie der wartenden Amyrlin zu berichten hatte. Und ganz bestimmt nicht, wenn Sahra danebenstand, ob sie ihn nun anhimmelte oder nicht. »Gawyn, ich bin zur Amyrlin bestellt. Wo kann ich dich finden, wenn sie mit mir fertig ist?« »Ich werde auf dem Übungsgelände sein. Die einzige Zeit, wo ich mir keine Sorgen mache, ist beim Üben mit dem Schwert, wenn mich Hammar hart rannimmt.« Hammar war ein Schwertmeister und der Behüter, der dieses Können an die Schüler weitergeben sollte. »An den meisten Tagen bin ich bis Sonnenuntergang dort.« »Also gut. Ich komme, sobald ich kann. Und gib acht, was du sagst. Wenn du die Amyrlin zu sehr aufregst, müssen Elayne und Egwene vielleicht darunter leiden.« »Das kann ich nicht versprechen«, entgegnete er mit fester Stimme. »Irgend etwas stimmt mit der Welt nicht mehr. Bürgerkrieg in Cairhien. Das gleiche und noch schlimmeres in Tarabon und Arad Doman. Falsche Drachen. Auseinandersetzungen und Gerüchte und Probleme, wohin man schaut. Ich behaupte nicht, daß die Burg dahintersteckt, aber selbst hier läuft nicht alles, wie es sein soll. Oder wie es den Anschein hat. Das Verschwinden Elaynes und Egwenes ist ja nicht alles. Aber sie sind natürlich das, was mich am meisten bewegt. Ich werde herausfinden, wo sie sich aufhalten. Und falls sie verletzt wurden... Falls sie tot sind... « Er machte eine finstere Miene, und einen Augenblick lang war sein Gesicht für sie wieder eine blutige Maske. Mehr: Über seinem Kopf schwebte ein Schwert und dahinter wehte eine Flagge im Wind. Auf der leicht gekrümmten Klinge des
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