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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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ihm Auf Wiedersehen zu sagen, sodass er merkt, dass wir … dass wir bei ihm sind.«
    Er warf Ariadne einen fragenden Blick zu.
    »Schaffen Sie es, sein Gesicht anzusehen?«
    »Ja.«
    Er ergriff eine Ecke des Tuches und zog es sachte zur Seite. Obwohl sie darauf gefasst war, schnappte sie nach Luft. Jonas Edgren fluchte gedämpft. Dann schien ihm bewusst zu werden, dass Christa dabei war. Er räusperte sich und stieß einen Seufzer aus.
    »Wir schauen uns jetzt deinen Papa an, Christa, das verstehst du ja, du bist doch ein großes und gescheites Mädchen. Schon fast erwachsen. Dein Papa, er … sein Gesicht ist geschwollen, er sieht nicht ganz so aus wie sonst, wie vorher, deshalb haben wir … Man verändert sich vom Aussehen her ziemlich, wenn man so eine Allergie bekommt.«
    Die Fingerspitzen des Mädchens fuhren über den Körper des Vaters. Sie fanden sein Gesicht, tasteten es vorsichtig ab.
    »Wie fest er sich anfühlt«, stellte sie verdutzt fest und weinte nicht länger. »Er ist kalt wie ein tiefgefrorenes Hähnchen.«
    Ariadne begann zu schluchzen.
    »Er ist tot, mein Liebling, deswegen, er ist tot, dein Papa ist tot.«

BIRGIT STAND ÜBER den Esstisch gelehnt, als Hans Peter und sein Vater aus dem Keller hochkamen. Sie war aschgrau im Gesicht, ihre Atemzüge klangen wie keuchende Stöße. Kjell stürzte sofort zu ihr.
    »Birgit … Biggan, was ist los?«
    »Ach, nichts Schlimmes«, erwiderte sie mit belegter Stimme.
    Sie setzten die alte Frau mit vereinten Kräften zurück auf ihren Stuhl. Hans Peter ging neben ihr in die Hocke. Nahm die kleine dünne, schlaffe Hand seiner Mutter in seine. Er spürte, wie sie zitterte.
    »Mama«, flüsterte er, »Mama, was ist mit dir, sollen wir Hilfe holen?«
    »Nein«, kam es unerwartet brüsk zurück.
    Kjell hatte bereits den Telefonhörer abgehoben, sie sah es und bedeutete ihm, sofort wieder aufzulegen.
    »Aber im Krankenhaus haben sie gesagt, dass, wenn …«
    »Ich weigere mich, noch einmal in ein Krankenhaus zu fahren!«
    Hans Peter nickte seinem Vater zu und brachte ihn dazu aufzulegen. Er holte ein Glas Wasser und ihre Tabletten. Nach einer Weile atmete sie wieder normal.
    »Ein geringfügiges Zittern in diesem alten Weibskörper braucht noch lange nicht zu bedeuten, dass ich das Handtuch werfe«, murmelte sie und verzog das Gesicht.
    »Du kleines Biest!« Kjell beugte sich über sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Seine Haare standen wie ein Heiligenschein ab. »Ich denke, du solltest dich aber wenigstens eine kleine Weile hinlegen. Und wenn du es mir zuliebe tust.«
    Sie seufzte.
    »Ja, ich sollte es vielleicht tun.«
    Sie stützten sie auf dem Weg ins Schlafzimmer, legten sie aufs Bett und hüllten sie in das dicke Gotlandplaid, das sie ihr zum Fünfundsiebzigsten geschenkt hatten. Ihr Gesicht wirkte sehr klein auf dem Kissen.
    »Bist du sicher, dass wir nicht doch den Arzt rufen sollen?«, fragte Kjell, der angespannt wirkte und sich wiederholt auf die Unterlippe biss. Hans Peter klopfte ihm unbeholfen auf die Schulter. Wie würde sein Vater nur zurechtkommen, wenn seine Lebenspartnerin starb? Vermutlich würde es seiner Mutter leichter fallen, wenn sie diejenige war, die ihn überlebte. Irgendwie war sie trotz allem die Stärkere. Vielleicht war es jetzt an der Zeit, endlich ein Seniorenheim für sie beide zu finden. Sie würden sich natürlich wehren. Wollten ihr gewohntes Leben mit all seiner Routine, den Möbeln und Erinnerungen nicht aufgeben. Aber all diese Dinge konnten sie doch mitnehmen, dass sie das nicht einsahen. Wie würde er sie nur überreden können? Jedes Mal, wenn er bisher das Thema angeschnitten hatte, hatten sie gereizt reagiert.
    Er schaute sich nach Justine um. Sie war nirgends zu sehen.
    »Mama?«, fragte er.
    »Sie ist zur Toilette gegangen.« Seine Mutter starrte auf ihre hageren Finger.
    Hans Peter ging zur Toilettentür und klopfte. Justine antwortete nicht. Die Tür war verschlossen. Er rief nach ihr, rief ihren Namen. Erst nach mehreren Minuten kam sie heraus, und ihr Blick war flackernd und leer.
    »Wir sollten jetzt wohl besser nach Hause fahren«, schlug er vor.
    Sie antwortete nicht.
     
    Sie stand am Fenster, während es draußen stark wehte. Das Ruderboot riss an seiner Vertäuung. Der Vogel saß auf ihrer Schulter, doch sie schien ihn nicht zu bemerken.
    »Es wird langsam dunkel«, stellte er fest.
    Sie schwieg. Es schien, als hörte sie ihn nicht mehr.
    »Wie spät ist es eigentlich? Sollen wir schlafen

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