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Der Schatten im Wasser

Der Schatten im Wasser

Titel: Der Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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sie eindrang, tat es weh, es war schon so lange her. Er merkte es und hielt sich eine Weile zurück. Aber es machte angesichts dieses überraschenden, irgendwie beschämenden Glücks nichts, sein Mund an ihrem Augenlid, die feuchte Spur seiner Zungenspitze. Als sie die Augen schloss, flimmerte es vor Bildern, das weite rote Kleid, das sie als sehr junges Mädchen getragen hatte, wie sie sich damit drehte und umherwirbelte, sodass sich der Stoff wie ein Fächer ausbreitete. Sie krallte sich an seine Hüften, saugte, biss sich fest, ich begehre dich, ich will deine Brunst sein und deine Säfte aufsaugen, komm zu mir, sei in mir, wachse! Und er schwoll wie eine Wurzel an, eine Linie von ihrem Schoß aufwärts, und erfüllte sie stoßweise mit seiner Wärme.
    Danach blieb er mit dem Kopf zur Wand liegen.
    »Was ist?«, flüsterte sie. »Liebster Tor, was ist denn?«
    Mit einem Mal ging ihr auf, dass es vielleicht das erste Mal war, dass er nach Berit mit jemandem schlief.
    »Nein«, murmelte sie und legte sich mit ihrem verschwitzten, erschöpften Körper über ihn. »Nein, du darfst nicht so denken, Tor, nicht so denken.« Ermahnte ihn wie ein Kind.
    »Berit«, sagte er zerknirscht.
    »Aber es ist doch nicht so, du hast sie nicht hintergangen, ist es das, was du denkst, hör jetzt auf!«
    Sie tastete nach seinen Wangen, ihre Fingerspitzen wurden mit Tränen benetzt. Plötzlich wurde sie wütend und verzweifelt.
    »Glaubst du wirklich, dass Berit von dir verlangen würde, für immer und ewig enthaltsam zu leben?«, brach es aus ihr heraus. »Glaubst du das? Meinst du, das ergibt einen Sinn?«
    Er schluckte schwer.
    »Oder geht es darum, mit wem du schläfst, dass du es mit mir getan hast, ihrer besten Freundin?«
    »Verzeih mir«, sagte er und streckte sich nach dem Zigarettenpäckchen. »Verzeih mir, das wollte ich nicht.«
    Er stand auf und blieb lange im Bad. Der Rauch seiner Zigarette drang durch den Türschlitz in die Dunkelheit ihres Zimmers. Sie hörte, wie er die Dusche anstellte, und dachte daran, dass es fast zwei Uhr nachts war und die Nachbarn sich beschweren würden, besonders die alte Frau über ihr.
    Dann schlief sie ein. Und als sie aufwachte, war Tor gegangen.
    Mehrere Minuten lang lief sie umher und suchte, hatte er etwas hinterlassen, einen Zettel mit ein paar Worten darauf? Doch sie fand nichts dergleichen. Er hatte ihre Becher gespült und den Tisch abgewischt.
    Sie hatte ihn nicht wegfahren hören.
     
    Es war kurz nach ein Uhr mittags, als sie nach Hässelby kam. Sie parkte oben auf dem Hügel und ging dann zögerlich hinunter zum Haus, dem hohen Steinhaus, in dem Justine ihr ganzes Leben lang gewohnt hatte. Zuerst fand sie es nicht und dachte einige Sekunden lang verwirrt, dass sie falsch gefahren war. Dass sie sich in dem Gewirr von kleinen Straßen nicht mehr auskannte. Doch dann erschien es hinter den Büschen. Ein schmales, weißes Haus, an dem der Putz zu bröckeln begann. Sie konnte sich nicht erinnern, dass die Bäume so hoch gewesen waren. Allerdings war es auch eine ganze Weile her, als sie zuletzt hier gewesen war. Als Berit vor mehr als sechs Jahren verschwand und Jill herumgelaufen war und gesucht hatte, hatte sie es nicht über sich gebracht, bis zu Justine Dalviks Haus zu gehen.
    Allein die Vorstellung, dass sie nach all den Jahren immer noch hier wohnte. Dass sie nie daran gedacht hatte, von hier wegzuziehen. Das war eigentümlich. Aber Justine war ein eigentümlicher Mensch, war es schon immer gewesen.
    Sie stand jetzt vor der Pforte, der rostigen, weit geöffneten Pforte, die offensichtlich schon lange nicht mehr benutzt wurde. Zweige von verwelktem Gestrüpp rankten durch die Eisenstäbe hindurch, ein weggeworfenes Eispapier, eine Verschlusskappe. Ihr Magen zog sich vor Aufregung zusammen. Kein Auto vor der Tür. Konnte Justine überhaupt Auto fahren? Dieses kleine magere Geschöpf, sollte es ihr jemals gelungen sein, den Führerschein zu machen?
    Früher war die Pforte regelmäßig benutzt worden. Flora Dalvik war mit ihren hohen Absätzen hindurchgetrippelt. Zum Taxi, das mit laufendem Motor vor dem Grundstück wartete. Jill und Berit hatten in den Büschen gelegen und spioniert, beobachtet, wie die glänzenden Strumpfbeine sich kreuzten und im hinteren Teil des Wagens verschwanden.
    Und Justine hatte sich an die Pforte geklammert, sie in Schwingung versetzt, komm und spiel mit mir, komm und spiel mit! Im kurzen Faltenrock und der Bluse, die immer hochrutschte, die Bluse mit

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