Der Schatten im Wasser
Klecks Butter und Fleisch. Du sollst nicht traurig sein. Du sollst weder traurig noch ängstlich sein.«
Bevor Hans Peter die Voliere gebaut hatte, war ihr gar nicht klar gewesen, dass er derartige handwerkliche Fähigkeiten besaß.
»Der Vogel muss nach draußen«, schimpfte er. »Raus ans Tageslicht und an die frische Luft.«
Natürlich hatte er Recht damit, denn Raumluft war auf Dauer ungesund für alle Lebewesen.
»Sonne und Wind in den Federn, das ist es, was dieser Bursche hier braucht.«
Schon vom ersten Tag an hatte sich der Vogel gut im Garten eingelebt. Sich aufgeplustert und seine neue Umgebung inspiziert. Sie war ein wenig skeptisch gewesen, wegen der Katzen und anderer Vögel, befürchtete, dass sie ihn mit ihrer bloßen Anwesenheit irritieren würden. Nachdem es geregnet hatte, geschah es öfter, dass Wacholderdrosseln im Gras herumhüpften, direkt um den Käfig herum. Doch sie schienen ihn völlig zu ignorieren. Und er sie ebenfalls.
Sie holte tief Luft und machte einen erneuten Ansatz, ihn zu trösten. Ich bin ja nun hier, kleiner Freund, ich bin hier. In dem Moment flatterte der Vogel auf und rauschte in die gegenüberliegende Käfigwand hinein. Sein Federkleid geriet völlig in Unordnung, schien plötzlich seinen Glanz zu verlieren. Justine fuhr herum, irgendetwas musste ihn erschreckt haben.
Doch alles wirkte wie immer. Die üppig wuchernde Vegetation, das spiegelblank daliegende Wasser. Sie sah ihr Auto im Hintergrund auf der Einfahrt geparkt stehen. Dachte, dass Hans Peter schneller hätte zurück sein können, wenn er mit dem Auto gefahren wäre. Doch er zog es vor, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit zu fahren. Manchmal nahm sie das Auto und fuhr in die Stadt, um ihn zu besuchen. Es war auch schon vorgekommen, dass sie die Nachtstunden im Hotel auf seiner Pritsche in der Portierloge verbrachte.
»Was ist denn los?«, fragte sie erneut. »Wenn du mir doch bloß erklären könntest, was es ist.«
Der Vogel saß mit weit aufgerissenem Schnabel auf dem Boden. Ob er vielleicht Durst hatte? Justine öffnete die Drahttür und stieg in den Käfig. Sie stellte fest, dass sich noch Wasser in der Schale befand.
»Was ist es dann?«, flüsterte sie. »Macht dir irgendetwas hier Angst?«
Er gab ein scharfes, zischendes Geräusch von sich, dann spürte sie seine Krallen auf ihrem Arm. Sie hielt ihn waagerecht, sodass er sitzen konnte. Seine Krallen waren kalt, er hielt sich an ihr fest und schrie. Es half auch nicht, dass sie ihm sanft über den Rücken strich.
ALS BERIT VERSCHWAND, war Jills spontane Reaktion, dass es sich um ein Missverständnis handeln musste. Eine gesunde, gewöhnliche schwedische Frau mittleren Alters verschwand nicht einfach so. Erst viel später begriff sie, dass sie einfach unter Schock gestanden hatte. Die Phase des Leugnens.
Nach einigen Tagen hatten die Abendzeitungen begonnen, über ihre beste Freundin zu schreiben. Die Schlagzeilen titelten mit Der Fall Berit und versahen den Artikel mit dem wohlbekannten Gesicht ihrer Freundin seit Kindheitstagen. Widerstrebend ging ihr allmählich auf, dass etwas Unfassbares eingetreten sein musste. Diese Erkenntnis schlug wie ein starker Schwindel bei ihr ein.
Mehrmals war sie unterwegs und suchte die Gegend ab, planlos und wirr. Den Judarnwald und Grimsta, die Laufstrecke von Åkeshov, Hässelby mit all seinen verzweigten Straßen und Waldgebieten. Sie verwendete ihre gesamte Freizeit darauf, obwohl ihre Vernunft ihr signalisierte, dass es nichts bringen würde. Alle denkbaren Orte waren bereits abgesucht worden. Sie wusste auch, dass Tor zu Hause bei Justine gewesen war, der Frau, die Berit offenbar kurz vor ihrem Verschwinden getroffen hatte.
Sogar dem Verlag, bei dem Berit beschäftigt gewesen war, stattete sie einen Besuch ab. Lüdings Verlag. Sie war bereits einmal zuvor in der Redaktion gewesen, um Berit abzuholen. Sie wollten damals irgendein Stück im Stadttheater sehen, sie erinnerte sich nicht mehr, welches. Annie Berg, Berits Arbeitskollegin, hatte sie begleitet. Berit hatte an diesem Nachmittag gute Laune. Sie holte eine Flasche Sherry hervor, die hinter den Büchern im Regal ihres Büros versteckt stand. Sie kicherte aufrührerisch.
»Davon biete ich Sonja Karlberg jedes Mal bei einer Vertragsunterzeichnung an. Sie besteht regelrecht darauf. Aber heute genehmigen wir drei uns ein Gläschen von der Medizin.«
Jill wusste um die Probleme, die Berit mit der prominenten Schriftstellerin hatte. Man
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