Der Schatten von nebenan - Roman
Im Hintergrund konnte ich Geräusche hören und glaubte, eine Frau »schmutziger Bademantel« und dann wieder »schmutziger Bademantel« rufen zu hören, gefolgt von einem dumpfen Geräusch, auf das wieder Stille folgte.
»Bist du dran? Was ist passiert?«, fragte ich aufgeregt.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ihre Stimme wie aus einem dunklen Loch zurückkehrte.
»Ich bin dran. Hör zu, Galvin, es ist etwas passiert. Erika und ich nahmen ein Taxi von LaGuardia, und als wir in der Stadt ankamen, ging ich los, um Kaffee zu holen auf der 54th Street … Auf meinem Weg zurück ins Büro rief mir ein Arbeiter der Gaswerke zu, ich solle auf die andere Straßenseite wechseln. Sie hatten den Bürgersteig auf halbe Blocklänge aufgerissen. Ich ging über die Straße, trug das Pappendeckeltablett mit den Kaffeebechern, aber irgendwie hatten sie einen Fehler gemacht. Die Arbeiter, mein ich. Ich überquerte die Straße, aber als ich auf eine der Metallplatten auf der anderen Seite trat, stand sie unter Strom. Es waren dreitausend Volt, Galvin. Du kannst einen Stadtblock damit erleuchten. Einen Block in Midtown. Aber ich hatte Glück …«
Mein Körper fühlte sich mit einem Mal doppelt schwer an. Ich hatte von merkwürdigen Unfällen gehört, von einem Bäcker, der in einen Teigmixer geraten war, oder einem Fallschirmspringer, der mit demselben Flugzeug kollidierte, aus dem er herausgesprungen war. Aber das waren Vorfälle, von denen man in der Zeitung las. Schreckliche Bilder von ihrem zur Unkenntlichkeit verbrannten Gesicht schossen mir in den Kopf, ihre Haut von Blasen aufgeworfen, ihr Haar von der unsichtbaren Kraft vollkommen versengt. Ich wusste nicht, ob sie sich zusammenriss, ob sie das, was ihr zugestoßen war, lediglich herunterspielte, und mir in Wirklichkeit eine Überraschung übelster Art bevorstand, sobald ich ihr gegenüberstehen würde.
Sie redete dann aber weiter, versicherte erneut, dass sie nichts Ernstes abgekriegt hätte. Sie klang zwar nervös, aber ihre Stimme war bis auf ihre Anspannung nicht lädiert, schleppend oder nuschelig. Ja, es war scheinbar wirklich so, als ob diese Kraft in sie eingedrungen wäre und den Körper ohne Spuren wieder verlassen hätte. Dennoch wollten die Ärzte im Krankenhaus sie ein paar Tage lang beobachten. Sie bat mich als nächstes, ob ich ihr ein paar Dinge bringen könne, und dann war sie plötzlich in Eile, geradezu so, als ob sie jemand aufforderte, das Gespräch zu beenden. Ich war wie in Trance. Durant musste mein blasses Gesicht bemerkt haben, als ich auflegte.
»Irgendwas passiert?«, fragte er.
»Claire, meine Frau«, stotterte ich. »Sie hatte einen schlimmen Unfall.«
Die Nummer eines Taxidienstes klebte an dem Küchenregal neben dem Radio. Nachdem ich mit bis zum Hals klopfendem Herzen ein paar Sekunden in der Warteschleife des Taxiunternehmens gewartet hatte, sagte mir jemand, ein Fahrer sei auf der Eighth Avenue und würde in drei Minuten vor der Tür stehen. Ohne Durant weiter zu beachten, stieg ich nach oben. Ich stopfte ein paar Kleidungsstücke in eine Stofftasche. Dann rannte ich wieder nach unten. Durant kam mit seinem Koffer aus dem Wohnzimmer, während ich zur Haustür eilte. Das Taxi stand bereits vor dem Haus. Ein Lieferwagen fuhr vorbei, und der Fahrer schaltete einen Gang hinunter, was dem Motor ein gequältes Heulen entlockte. Einen Moment lang zögerte ich. Noch einmal wallte ein Impuls auf, Amos wegen Durant zu warnen. Aber der Fahrer im Taxi hupte, und ich hatte beim besten Willen andere Sorgen, und so schloss ich die Haustür ab und eilte die Steintreppe hinunter. Als ich im Wagen saß, drehte ich mich um und sah Randolph Durant ein letztes Mal auf dem Bürgersteig stehen. Der Regen hatte nachgelassen.
-9-
D er schwere Lincoln rollte langsam an David Amos’ Haus vorbei und bog dann links in die Eighth Avenue ein. Ich bat den Fahrer Tempo zu machen, ja so schnell zu fahren wie es nur ging und murmelte dabei etwas von einem Notfall. Ich befürchtete einen Stau auf der Brooklyn Bridge, aber der Fahrer bewältigte den Verkehr im Slalomlauf. In Manhattan fuhr er die Sixth Avenue Richtung Norden, bog in die Bleecker Street, überholte ein paar parkende Taxen, und bald eilte ich durch den Haupteingang des St. Vincent’s Hospitals in die Lobby. Eine Frau mit kurzem, grauen Haar am Empfang hob ihren Kopfhörer und bat mich dann, Claires Namen zu wiederholen, um ihn in ihre Tastatur zu tippen.
Claires Zimmer war im fünften Stock. Unter
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