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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Saur
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Angst, und ich hoffte nun aufrichtig, dass dem nicht so war. Ich hoffte, der Besuch des Fremden wäre nichts, das später nicht mehr trennbar sein würde von dem Buch.
    Mit der Gabel in der rechten Hand und dem Toast in der linken aß Durant mit der Gleichmäßigkeit einer Maschine. Als er mit seinen Rühreiern fertig war, säuberte er seinen Mund mit der Papierserviette und nahm einen weiteren Schluck aus seiner Tasse. Als die Bedienung die Rechnung brachte, zückte er sein Geld, das er zusammengefaltet in einer Silberklammer aus der Hosentasche zog, zahlte die Summe wortlos und ließ das Trinkgeld auf dem Tisch liegen. Als wir hinausgingen, war die Morgenluft stickiger geworden. Das Wetter war im Begriff, sich nach zwei Wochen klaren Himmels zu ändern. Wir gingen denselben Weg zurück, den wir gekommen waren und kreuzten die Seventh Avenue wieder an der Ecke First Street. Ich hoffte, Durant würde schnell seine Sachen zusammensuchen und dann verschwinden, zum Flughafen, irgendwohin, am besten weit genug weg, um nie wieder von ihm zu hören.
    Als wir wieder am Chapelle-Buchladen vorbeikamen, setzte ein Nieselregen ein, der schnell in einen stärkeren Niederschlag überging. Durant eilte unter die knappe Stoffmarkise vor dem Fenster des Pizzaladens, um sich vor dem Regenguss zu schützen. Ich folgte ihm, und da bemerkte ich das Flugblatt zum ersten Mal.

-8-
    » M ädchen vermisst«, lautete die Überschrift. Das Flugblatt war ans Innere des Fensters des Pizzaladens geklebt und hing zwischen Ankündigungen für ein Konzert und der handgemalten Werbung für eine Bäckerei. Das Papier sah aus, als ob es in einer Pfütze gelegen hätte.
    »Muss in einer großen Stadt häufig vorkommen«, sagte Durant lapidar, als er mich lesen sah. Es stimmte. Kaum ein Tag verging, an dem ich nicht einen dieser Zettel an einer Straßenlaterne oder einem Bauzaun sah. Ich hatte diesen kurzen Geschichten stets Aufmerksamkeit geschenkt. Ich erinnerte mich an die Familie eines vermissten Mannes, der eines Tages nicht von der Arbeit in einer Schuhfabrik zurückgekehrt war, und die für Hinweise hundertzwanzig Dollar Belohnung versprach. Ein anderer Steckbrief war in chinesischen Schriftzeichen verfasst gewesen, obwohl er in einer Gegend hing, in der fast nur Mexikaner lebten. Ich hatte in Russisch geschriebene Zettel in Chinatown gesehen. Griechische auf der Upper East Side. Sie erzählten von alten Menschen und Kindern, geistig Behinderten und tüchtigen Bürgern, Immigranten und Ausländern, die alle wie vom Erdboden verschluckt waren. Hinter jedem dieser Zettel steckte Angst. Und ich war sicher, wenn jemand nur hundertzwanzig Dollar für Hinweise aufbrachte, dann nicht aus Geiz, sondern weil die Summe schon mehr war, als sich die Angehörigen leisten konnten.
    Das sechzehnjährige Mädchen auf dem kopierten Zettel hieß Priscilla. Kein Nachname. Sie lächelte von dem Schwarz-Weiß-Foto. Ihr Haar war lang, und sie trug eine Kette um den Hals mit einem Anhänger, der unter dem Bildrand verschwand. Zuletzt war sie vor zwei Tagen auf ihrem Heimweg von einer Privatschule am nördlichen Ende der Seventh Avenue gesehen worden. Am Tag ihres Verschwindens hatte sie einen braunen Rock getragen, dunkelblaue Converse-Turnschuhe und eine hellgelbe Bluse. Eine Liste von Telefonnummern folgte den Beschreibungen, die alle mit einer Brooklyner Vorwahl begannen. Die Nummern waren unterbrochen von einer Zeile, die demjenigen eine Belohnung versprach, der polizeidienliche Hinweise beisteuern konnte. Eine genaue Summe wurde nicht genannt. Obwohl die Notiz getippt war, hatte jemand am Ende zwei handgeschriebene Zeilen angefügt. »Wenn Sie Informationen besitzen, rufen Sie bitte Detective Lewis Palmer vom vierundneunzigsten Revier unter 718 223 8709 an.«
    Als der Platzregen nachließ und in einen dichten Herbstniesel überging, machten wir uns auf den Weg. Rennen konnten wir wegen Durants Fuß nicht. Ich stand wie ein nasser Hund im Korridor unseres Hauses, als das Telefon in der Küche läutete. Claire war am Apparat. Ihre Stimme klang belegt, und ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmte.
    »Mach dir keine Sorgen, Galvin … Ich ruf vom St. Vincent’s an«, sagte sie.
    »Vom Krankenhaus?«
    Mit zitternder Hand drehte ich rasch die Lautstärke des Küchenradios herab, bis die Musik wie aus großer Ferne kommend klang. Am anderen Ende wurde Claire ebenfalls still, so als hätte sie jemand unterbrochen. Ich sagte zweimal ihren Namen, aber sie blieb stumm.

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