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Der Schatten von nebenan - Roman

Der Schatten von nebenan - Roman

Titel: Der Schatten von nebenan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Saur
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nachdem ich das erste der zwei entführten Mädchen bereits kaltblütig ermordet hätte?
    Aber Hall sagte nur: »Mein Freund, kennen Sie das Ponzi-Schema?«
    Ohne auf eine Antwort zu warten, tauchte er in die folgende Geschichte: »Ponzi lebte vor hundert Jahren. Er war ein Italiener, der als armer Immigrant in die Vereinigten Staaten gekommen war. Er wusste mit Zahlen umzugehen und verstand es, sich gut zu kleiden. Vor allem aber war er ein Mann, dem es gelang, die Leute zu überzeugen. Darin war er am besten, wirklich, ganz ausgezeichnet. Er versprach ihnen eine Fünfzig-Prozent-Kapitalrendite innerhalb von fünfundvierzig Tagen, nachdem sie ihm ihre Ersparnisse ausgehändigt hatten. Diese vage Versprechung reichte dreißigtausend Menschen, ihm ihr hart verdientes Geld in den Rachen zu schmeißen. Ponzi verdiente zehn Millionen Dollar in weniger als einem Monat. Damals konnte man mit so einer Summe ganz Louisiana kaufen. Sie verstehen, worauf ich hinaus will, richtig? Mein eigener Großvater war einer von ihnen. Der alte Mann erholte sich nie wieder, nachdem er sein Geld in diese Pyramide gesteckt und verloren hatte. Eines Sommermorgens war er in den Charles River zum Schwimmen gegangen und nicht wiedergekommen. Wissen Sie, ich will zwar nicht annehmen, dass mein Großvater ein dummer Mensch war. Aber sehen Sie, es geht nicht um Logik oder Sinn. Es geht darum zu erkennen, was die Menschen zu glauben bereit sind. Und eines kann ich Ihnen versichern: Jeder wartet nur darauf zuzustimmen, denn Übereinstimmung zu erzielen, ist befriedigend und beruhigend. Wir alle wollen das. Und wenn die Staatsanwaltschaft sich eine Geschichte ausdenkt, können die Bürohengste aus der Kanzlei des Staatsanwalts es sich nicht leisten, zartbesaitet über ihre Böswilligkeit zu urteilen, Zurückhaltung zu zeigen bei den schockierenden Fähigkeiten, die sie jemandem wie Ihnen anlasten. Sie sind der Bösewicht hier. Sie reden von Logik? Logik fliegt kopfüber als Erstes ins Klo. Ich will Ihnen keine Lektion erteilen, nein, das will ich nicht, und ich denke auch nicht, dass sie eine brauchen, Shelby, aber am Ende zählt, was die Geschworenen fühlen. Dies hier ist kein gottverdammtes Steuergericht. Und das ist es, was Monty versucht, mit Ihnen zu machen: Sie sind sein Täter. Der Einzige, den er hat. Es ist wichtiger, Ihnen Dreck anzuhängen, als einen Sinn hinter all dem auszumachen, was geschehen ist. Denn wir sind schon jetzt an einem Punkt angelangt, an dem die Geschworenen Greta mögen und wenig Grund haben, Ihnen zu glauben. Wissen Sie, hinter all dem steckt der alte Trick. Menschen mögen Opfer, aber sie mögen Täter noch mehr. Verstehen Sie, was ich meine? Sie mögen es, mitzufühlen, aber sie mögen es noch viel mehr, einen Schuldigen zu verdammen. Und dieser Kerl Monty wird all seine Fähigkeit und Erfahrung und Mühe einsetzen, um Sie als schlechten Kerl darzustellen. Er wird alles dran setzen, Sie zu einem Bösewicht par excellence zu machen. Das ist das Erste, an das er morgens denkt und das Letzte, was ihm nachts in den Sinn kommt, und wahrscheinlich träumt er auch noch davon. Dauernd denkt er darüber nach, wie er Sie in der Rolle besetzen kann, die er für Sie im Sinn hat. Wie Ponzi ist Monty im Showgeschäft. Er genießt die Schlacht des Gerichtssaals. Er ist ein Kämpfer. Ob das, was er da braut und ausheckt, dann zusammenhängend ist, einen echten Sinn ergibt, hängt davon ab, wie gut er nun wirklich ist. Aber so wichtig ist es am Ende gar nicht mehr. Die Details, wissen Sie, das sind am Ende doch nur Details. Aussagen wiederholen sich und ziehen sich in die Länge. Vieles ist schlicht langweilig. Wie lange dauerte der Spaziergang, wie lange dauerte das Telefongespräch? Sagte sie ja oder vielleicht? Hätte es eher später Morgen statt früher Morgen sein können? Kleine Häppchen, die den lebhaftesten Geschworenen ermüden lassen können. Nur eine Hand voll wirklich wichtiger Momente entscheiden einen Fall.«
    Hall machte eine Pause. Für einen Moment fürchtete ich, dass in seinem Gesicht Missgunst aufflackerte.
    »Und ja, mein Freund, er wird nach dem Prinzip der Schrotflinte vorgehen. Ein paar hundert Patronen verballern, vielleicht nicht auf den direkten Todesschuss setzen.«
    Erneut legte Hall eine Pause ein, als sammelte er sich, und fügte dann hinzu: »Alan Monty hat so weit bewiesen, dass er weiß, was er tut. Er besitzt einen klaren Kopf. Nun müssen wir auch klar sein.« Ein nüchterner Gedanke ging mir in

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