Der Schatten von Thot
aufgetürmt, andere waren von der Gewalt des Windes abgetragen worden. Ruhig und friedlich lag die Wüste da, nichts zeugte mehr von dem Sturm, der mit furchtbarer Macht gewütet hatte.
Und weit und breit entdeckte ich keine Spur von meinen Gefährten…
»Hayden?«, schrie Sarah, als sie aus dem halb verschütteten Höhlenausgang ins Freie trat. »Hayden, können Sie mich hören?«
Ihre Stimme hallte in der heißen Luft von den Felsentürmen wider.
»Captain Hayden!«, rief Sarah noch einmal. »Sir Jeffrey! Inspector Fox! Lieutenant Farnsworth…!«
Nacheinander rief sie die Namen ihrer Gefährten, aber weder erhielt sie Antwort, noch konnte sie die anderen irgendwo entdecken. Sarah fühlte Panik in sich emporsteigen. Rasch erklomm sie einen nahen Felsen, versuchte von dort aus zu rekonstruieren, wo sie sich von den anderen getrennt hatte. Da die Dünen sich jedoch verändert hatten und es keine Markierung gab, anhand derer Sarah sich orientieren konnte, war es ein aussichtsloses Unterfangen. Soweit ihr Auge reichte, konnte sie weder Spuren im Sand noch sonstige Hinweise auf ihre Gefährten entdecken, gerade so, als hätte der Sturm die zehn Männer und ihre Kamele allesamt verschlungen, und nach einer Weile begann sich eine schreckliche Erkenntnis in Sarah Kincaid breitzumachen.
Sie hatte den Sandsturm als Einzige überlebt…
Ihre Knie wurden weich, und sie sank auf den Felsen nieder, zwang sich, tief und ruhig zu atmen. Nur die Tatsache, dass sie schon früher in ihrem Leben Situationen wie diese erlebt hatte, bewahrte sie vor dem Zusammenbruch. In solcher Lage dachte man nicht an die Gefährten, die man verloren hatte, sondern einzig und allein an das eigene Überleben – und das war gefährdet genug.
Sarahs Kamel war verschwunden, und mit ihm die Vorräte, die es getragen hatte, der Proviant und das Wasser. Abgesehen von der nur noch halb gefüllten Feldflasche an ihrem Gürtel, war Sarah damit den Gewalten der Wüste völlig schutzlos ausgeliefert, sodass es im Grunde nur eine Frage der Zeit war, bis sie ihren Gefährten in den Tod folgen würde. Auch die Tasche mit ihren Aufzeichnungen, die sie noch immer bei sich trug, würde daran nichts ändern.
Sollte die Suche nach dem Buch des Thot auf diese Weise enden? Vielleicht, sagte sich Sarah, würde das Rätsel irgendwann tatsächlich entschlüsselt werden – und vielleicht dienten dann ihre ausgebleichten Knochen als Wegweiser…
Trotz der drückenden Hitze, die jetzt wieder über der Wüste lag, durchfuhr sie ein eisiger Schauder. Mit aller Kraft, die ihr erschöpfter Geist noch aufzubringen in der Lage war, wehrte sie sich gegen die Resignation und die Trauer, die sie überkommen wollten. Noch war sie nicht tot! Und es galt, das Beste daraus zu machen.
Sie würde den Einbruch der Dunkelheit abwarten und sich erneut an den Sternen orientieren. Bei Nacht würde sie ihren Marsch fortsetzen, bei Tag Zuflucht in Höhlen und unter Felsen suchen und auf diese Weise versuchen, das Ziel zu erreichen.
Den Schatten von Thot…
Den Rest des Tages verbrachte Sarah in der Enge der Turmruine; einerseits spendete das alte Gemäuer Schatten, andererseits wurde das Gestein von den Sonnenstrahlen so aufgeheizt, dass es zum Glutofen wurde. In fast unerträglicher Hitze harrte Sarah bis zum Einbruch der Dunkelheit aus, trank nur ab und zu einen Schluck Wasser. Irgendwann zeigte das sich verfärbende Licht an, dass sich der Tag dem Ende neigte, und Sarah wagte sich aus ihrem Versteck.
Gleißend versank die Sonne zwischen den westlichen Dünen; kein Lufthauch regte sich, die Wüste lag so still und unbewegt, als hätte es nie einen Sturm gegeben. Von Sarahs Gefährten war noch immer nichts zu sehen, was sie in ihrem bitteren Entschluss nur noch bestärkte. Sie wusste, wie die Chancen standen, zu Fuß und mit einer nur halb gefüllten Feldflasche die Wüste zu durchqueren, aber sie hatte keine andere Wahl. Entweder sie versuchte, ihr Schicksal zu finden, oder aber ihr Schicksal fand sie…
Je weiter die Sonne dem Horizont entgegensank und in der flimmernden Ferne verschwand, desto deutlicher traten die Sterne hervor. Es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem sich das Firmament in größerer Pracht und Klarheit zeigt, als in der Wüste; so, als wollten die Sterne einen Ausgleich für die Ödnis schaffen, die auf Erden herrscht.
Der Blick zu den funkelnden Gestirnen schenkte Sarah ein wenig Trost, und sie versuchte sich vorzustellen, dass sie nicht
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