Der Schatten von Thot
mehrmals aufgefordert, die Expedition einzustellen? All dieses Gerede von Schicksal und Vorherbestimmung hatte in Wahrheit nur dem einen Zweck gedient, sie von seinen wahren Plänen abzulenken – um dann zuzuschlagen, wenn niemand es erwartete…
»Warte, Bursche«, knurrte Sarah. »Du glaubst an das Schicksal? Dann wirst du erleben, wie es dich schon bald einholen wird. Denn niemand führt mich an der Nase herum und kommt ungeschoren davon.«
»Was wollen Sie jetzt tun?«, fragte Sir Jeffrey besorgt, der zusammen mit Milton Fox ebenfalls aufgeschlossen und erfahren hatte, was geschehen war.
»Wir werden den Einbruch der Dunkelheit abwarten und unsere Position anhand der Sterne neu bestimmen«, antwortete Sarah mit grimmiger Entschlossenheit. »Und im Morgengrauen werden wir auf unseren alten Weg zurückkehren und diese Mission zu Ende bringen.«
»Sie wollen zurück?«, fragte Fox verblüfft. »Aber das bedeutet zusätzliche vier, fünf Tage unter stechender Sonne.«
»Den direkten Weg zu nehmen würde bedeuten, die Berge zu überqueren, und das ist mit den Kamelen und dem Gepäck nicht zu machen«, erwiderte Sarah. »Den Zeitverlust werden wir also in Kauf nehmen müssen. Aber ich habe nicht vor, mich von Kamal einschüchtern zu lassen. Wenn er will, dass wir unsere Suche beenden, so wird er stärkere Geschütze auffahren müssen als diese.«
»Soll er«, meinte Hayden gelassen. »Meine Männer und ich werden gerüstet sein. Möglicherweise kommt es ja zum Kampf und wir erhalten die Gelegenheit, ein paar von diesen räudigen…« Er stockte, und sein Mund blieb vor Staunen offen, während er fassungslos an Sarah vorbei in die Ferne starrte.
Sarah fuhr herum und sah, was den Offizier so in Schrecken versetzt hatte.
Es war eine Wand.
Eine Mauer, die sich, so hatte es den Anschein, auf riesigen Rädern bewegte und mit beängstigender Geschwindigkeit näher kam. Eine Wand, aufgetürmt von peitschenden Winden. Ein gigantisches Bollwerk, bestehend aus nichts als Sand und Staub…
»Ein Sandsturm«, entfuhr es Sarah ungläubig, denn seit ihren Kindertagen war sie nicht mehr dabei gewesen, wenn die Wüste ihre Massen zu einem solchen Schauspiel auftürmte – das allerdings ebenso atemberaubend wie tödlich war.
Schon war das Donnergrollen zu hören, mit dem sich die Sandwalze auf die Expedition zubewegte; hatte sie erst die Senke erreicht, wo es weit und breit kein Hindernis gab, würde der Sturm noch an Massivität gewinnen. Wen immer er dann erfasste, der würde fortgerissen werden und im Mahlstrom von Staub und Sand ein grausames Ende finden.
»Beim heiligen George!«, rief Sir Jeffrey aus, und trotz der Sonnenröte in seinem Gesicht wurde Milton Fox’ Miene kreidebleich. Die Kamele wurden unruhig und scharrten mit den Hufen, während sich die Mauer aus Wind und Sand immer höher und drohender am Horizont aufbaute.
»Der Sturm zieht in unsere Richtung«, stellte Sarah fest, »und er bewegt sich sehr schnell. Schon in Kürze wird er uns erreicht haben.«
»Kein Zweifel«, stimmte Hayden grimmig zu. »Aber er wird uns vorbereitet finden. Männer – absitzen und eingraben!«
Die königlichen Husaren reagierten augenblicklich auf den Befehl. Rasch stiegen sie von ihren Kamelen und zogen kurze Spaten aus ihrem Sattelgepäck. Während die einen Soldaten in aller Eile zu graben begannen, luden die anderen das Gepäck ab und entrollten die Plane des großen Mannschaftszeltes.
»Was haben Sie vor?«, fragte Sarah verblüfft.
»Was wohl? Wir werden uns eingraben und unter der Zeltplane Zuflucht suchen, wie die Dienstvorschrift es vorsieht.«
»Haben Sie den Verstand verloren, Hayden? Das ist nicht nur ein kleiner Sturm. Was sich dort nähert, ist ein ausgemachtes Inferno! Und Sie wollen sich davon überrollen lassen?«
»Haben Sie einen besseren Vorschlag?«
»Allerdings! Wenn wir die Kamele zur Eile antreiben, können wir die Berge erreichen. In den Ruinen der alten Festung finden wir eine sichere Zuflucht.«
Hayden blickte auf, versuchte die Entfernung zu den Bergen zu schätzen, was jedoch infolge der flimmernden Luft fast unmöglich war. »Nein«, entschied er kurzerhand. »Das Risiko ist zu groß. Wenn wir es nicht rechtzeitig schaffen, wird der Sturm uns schutzlos vorfinden, und wir werden alle sterben.«
»Das ist kein Risiko, Captain, sondern unsere einzige Chance. Wenn Sie hier bleiben und sich auf einen Kampf mit dem Sand einlassen, werden Sie diesen verlieren.«
Haydens Züge verhärteten
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