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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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ich Fackeln entzünden und die Arbeiter in Schichten einteilen lassen. Auf diese Weise kann die Grabung auch die Nacht hindurch weitergehen. Rings um das Lager und das Ausgrabungsgelände hat Captain Hayden Posten aufgestellt, die für unsere Sicherheit sorgen sollen. Obwohl ich in vielen Dingen nicht mit Hayden übereinstimme, muss ich zugeben, dass er ein tüchtiger Offizier ist, der mich nach Kräften unterstützt – vielleicht sogar ein wenig zu sehr. Während Jeffrey Hull und Milton Fox sich darauf beschränken, unter dem Sonnensegel zu sitzen und in der trockenen Hitze zu brüten, interessiert sich Hayden in zunehmendem Maß für die Ausgrabung selbst, und ich frage mich, was der Grund dafür sein mag. Hatte Maurice du Gard Recht, als er sagte, ich könnte mich auf Hayden verlassen? Oder verbirgt sich hinter der Fassaden des aufrechten Offiziers jener Verräter, vor dem Ammon mich gewarnt hat?
    Ich beginne meine Umwelt mit zunehmendem Misstrauen zu beäugen, und je länger die Ausgrabung andauert, ohne dass wir etwas finden, desto größer wird meine Unruhe.
    Kamal, der sich als Lager koch betätigt, bietet mir immer wieder zu essen an, aber ich habe keinen Appetit. Seit Beginn dieses Abenteuers habe ich zum erstem Mal das Gefühl, dass die Initiative in unseren Händen liegt; bislang haben wir nur reagieren können, während unser unbekannter Gegner uns stets einen Schritt voraus zu sein schien. Nun jedoch bietet sich erstmals eine Chance, dies zu ändern.
    Wenn es stimmt, was el-Hakim mir verraten hat – und der Weise hat mir noch niemals Anlass gegeben, an seinen Worten zu zweifeln –, so verbirgt sich unter dem Sand von Hermopolis ein Hinweis darauf, wohin die Anhänger des Thot-Kultes das Buch der Geheimnisse gebracht haben, als Scheschonks Horden in das Land einfielen und die Priesterschaft in die Wüste floh. Diesen Hinweis muss ich finden – denn wenn es mir nicht gelingt, sind der gute Kesh und Maurice du Gard einen sinnlosen Tod gestorben, und diesen Gedanken ertrage ich nicht…
     
     
    R UINEN VON H ERMOPOLIS
    26. D EZEMBER 1883
     
    Es war am späten Nachmittag des zweiten Ausgrabungstages – die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und Fackeln wurden gerade entzündet –, als der heisere Schrei eines Gräbers Sarah Kincaid aufhorchen ließ.
    Um sich einen Schluck Wasser und etwas Ruhe zu gönnen, hatte sie sich unter das Sonnensegel zurückgezogen. Als Sarah jedoch hörte, dass die Arbeiter auf etwas gestoßen waren, sprang sie von ihrem Klappstuhl auf und eilte umgehend zur Grube.
    »Was gibt es?«, rief sie Kamal schon von weitem zu.
    »Die Gräber haben etwas gefunden, Mylady! Es scheint ein Eingang zu sein…«
    Sarah beschleunigte den Schritt, und sie merkte, wie ihr Herz schneller schlug. Jene Aufregung, die sie schon als Jugendliche verspürt hatte, wenn ihr Vater versteckten Artefakten und verlorenen Geheimnissen nachgespürt hatte, ergriff erneut von ihr Besitz, und für einen Augenblick war sie wieder jenes Mädchen, das das Abenteuer liebte und das fasziniert war von den Rätseln der Vergangenheit.
    Helfende Hände streckten sich ihr entgegen, und sie stieg in die Grube hinab, die die Arbeiter während der letzten sechsunddreißig Stunden ausgehoben und mit Brettern abgestützt hatten, damit nachrieselnder Sand nicht wieder alles verschüttete. Auf dem Grund der Grube, die stattliche zwei Yards tief war, schienen die Männer tatsächlich auf etwas gestoßen zu sein: Eine steinerne, etwa einen Fuß hohe Kante lugte unter dem Sand hervor, den die Arbeiter zunächst mit den Schaufeln, dann mit bloßen Händen beiseitegeschafft hatten.
    Die Männer machten respektvoll Platz, und Sarah ließ sich nieder, um die Kante näher in Augenschein zu nehmen, die tatsächlich wie ein schmaler Türsturz aussah. Mit einem Pinsel, den sie eingesteckt hatte, befreite sie das Gestein vollständig von Sand – und ballte triumphierend die Faust, als eine Inschrift zum Vorschein kam.
    Es waren Hieroglyphen, die horizontal angeordnet waren, und das erste Zeichen, das Sarah ins Auge stach, war der stilisierte Ibis: das Emblem von Thot, das der Mörder im Londoner East End als blutiges Andenken hinterlassen hatte.
    »Gläubiger«, übersetzte sie die Inschrift, indem sie die fremdartigen Zeichen entzifferte, »betrete das Reich des Mondgottes mit Ehrfurcht, denn er ist der Herrscher der Zeit.«
    »Was bedeutet das?«, fragte Stuart Hayden, der ebenfalls dazugekommen war.
    »Das bedeutet, dass wir fündig

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