Der Schatten von Thot
geworden sind, Captain«, entgegnete Sarah erleichtert. »Dies muss einst der Zugang zu einem Prozessionsgang gewesen sein.«
»Zu einem Prozessionsgang?«
»Die altägyptischen Baumeister pflegten großen Tempelanlagen Eingangshallen voranzustellen, die mit dem eigentlichen Tempel durch mehr oder weniger lange Gänge verbunden waren. Durch diese Gänge schritten die Priester, wenn es galt, der Gottheit zu huldigen oder ihr Opfergaben darzubringen – und ich wette, dass die Deutschen damals auf genau diesen Gang gestoßen sind.«
»Ich verstehe. Aber warum ist er nun verschüttet?«
»Die Deutschen sind vor fünfzehn Jahren hier gewesen, Captain«, erklärte Sarah. »Genug Zeit für die Wüste, um den Eingang unter dicken Schichten Sand zu begraben.«
»Nein«, mischte Kamal sich in das Gespräch ein. »Das ist nicht der Grund dafür. Ein günstiges Schicksal hat dies bewirkt, Lady Kincaid, um zu verhindern, dass das Buch des Thot gefunden wird.«
»Unsinn«, schnarrte Hayden. »Behalte deinen Aberglauben für dich, Boy.«
»Das ist kein Aberglaube. Warum hören Sie nicht auf das, was das Schicksal sagt?«
»Weil es meine Bestimmung ist, diesen Eingang zu öffnen und das Geheimnis des Thot zu erforschen«, erklärte Sarah entschieden. »Es tut mir leid, Kamal.«
»Ja«, erwiderte der Führer düster. »Mir tut es auch leid, Lady Kincaid…«
Er wandte sich ab und wies die Arbeiter an, weiterzugraben und auch den Rest des Fundes freizulegen. Wie Sarah vermutet hatte, kamen zu beiden Seiten des Türsturzes Säulen zum Vorschein, und je tiefer es hinabging, desto deutlicher wurde, dass sie tatsächlich auf den gesuchten Eingang gestoßen waren. Sandstürme, die im Verlauf der letzten anderthalb Jahrzehnte gewütet hatten, hatten ihn verschüttet und den Gang, der sich an die Pforte anschloss, zur Hälfte mit Sand gefüllt. Als die Kräfte der Arbeiter nachließen und die Grabungen sich verlangsamten, wies Hayden einige seiner Leute an, sich Schaufeln zu nehmen und zu helfen; und am Ende legte der Offizier zu Sarahs größter Verwunderung sogar selbst mit Hand an.
Im flackernden Schein der Fackeln, die die Grube rings umgaben, gingen die Grabungen weiter – bis der Eingang des Stollens schließlich offen vor ihnen lag und ihnen wie ein dunkler, drohender Rachen entgegenstarrte.
»Fackeln«, verlangte Sarah. »Wir brauchen mehr Fackeln.«
»Tun Sie es nicht, Lady Kincaid«, sprach Kamal beschwörend auf sie ein. »Noch ist es nicht zu spät.«
»Keine Sorge«, beschwichtigte Sarah den Führer, der in der Tat beunruhigt schien. »Es wird nichts geschehen.«
»Inschallah«, erwiderte Kamal leise. »Wenn Gott es will.«
»Also?«, fragte Sarah und griff nach der Fackel, die ein Gräber ihr reichte. »Wer kommt mit mir?«
»Ich, keine Frage«, erklärte Hayden sofort. »Denham, Lester – Sie werden mich begleiten.«
»Verstanden, Sir.«
»Lieutenant Farnsworth?«
»Ja, Sir?«
»Sie haben in meiner Abwesenheit das Kommando. Halten Sie die Augen offen, verstanden?«
»Jawohl, Sir.«
»Ich werde ebenfalls mitkommen«, erklärte Kamal entgegen seiner offensichtlichen Bedenken.
»Du musst das nicht tun, Kamal.«
»Ich weiß, Mylady. Aber ich möchte es.«
»Und wir würden uns der Partie auch gerne anschließen, wenn es erlaubt ist.« Es war Sir Jeffrey, der gesprochen hatte. Vom aufgeregten Geschrei der Arbeiter angelockt, hatten Milton Fox und er ihren schützenden Platz unter dem Sonnensegel verlassen.
»Sind Sie sicher, Sir?«, fragte Sarah ein wenig skeptisch.
»Allerdings – dazu sind wir schließlich hier, oder nicht? Also, worauf warten wir?«
Die Arbeiter waren dem königlichen Berater und dem Inspector von Scotland Yard dabei behilflich, sich zu den anderen in die Grube zu gesellen. Sarah blickte in die Gesichter ihrer Gefährten, konnte die Ungeduld und die Spannung darin sehen. Und sie ertappte sich dabei, dass sie den Nervenkitzel, den sie dabei empfand, ein wenig genoss.
»Gehen wir«, sagte sie schlicht – und zusammen mit Kamal trat sie durch die Öffnung in die gähnende Dunkelheit.
»Faszinierend. Absolut faszinierend.«
Jeffrey Hulls Stimme klang von der gewölbten Tunneldecke wider, die vor Tausenden von Jahren mit einem künstlichen Sternenhimmel bemalt worden war. Dass die Farben nicht verblasst waren und die aufgemalten Gestirne im Licht der Fackeln noch immer funkelten, war der Tatsache zu verdanken, dass der Gang die meiste Zeit über unter Sand begraben und
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