Der Schatten von Thot
die Stelle zu finden, wo die deutschen Archäologen auf die Skelette der Franzosen gestoßen sind.«
Geschickt dirigierte sie ihr Kamel, sodass es sich auf die Vorderläufe niederließ und sie bequem absteigen konnte. Sarahs Füße versanken halb im heißen Sand, während sie auf die Überreste der Standbilder und des Tores zutrat, die auch im halb verfallenen Zustand noch einen eindrucksvollen Anblick boten.
Sie nickte Kamal zu, worauf dieser eine längliche Kiste ablud, die quer über den Rücken seines Kamels gepackt war. Er öffnete die Kiste, und zum Vorschein kamen mehrere Vermessungswerkzeuge: ein auf ein Stativ montierter Theodolit sowie zahlreiche Messlatten, mit deren Hilfe sich Sarah auf die Suche nach der Stelle machte, die Dümichen in seinem Buch beschrieb. Zwar wusste sie nicht, wo die Deutschen genau gegraben hatten, aber sie hatte sich Notizen darüber gemacht, aus welchen Perspektiven damals photographiert worden war. Wenn Sarah diese Angaben kombinierte, hoffte sie, dadurch den Eingang zu dem verschütteten Stollen zu finden.
Während sie Messungen vornahm und Kamal das Dreibein mit dem Theodoliten bald hierhin, bald dorthin stellen musste, schlug die restliche Karawane ihr Lager auf. Zelte wurden errichtet, unter deren schützenden Dächern Sarah und ihre Gefährten die Nacht verbringen würden. Auch die Soldaten von Haydens Regiment schlugen ein großes Mannschaftszelt auf, in dem sie vor Skorpionen und Schlangen geschützt waren, während die einheimischen Arbeiter die Nacht unter freiem Himmel verbringen würden. Unter einem Sonnensegel, das die Bediensteten in aller Eile spannten, fanden Sir Jeffrey und Milton Fox vor der siedend heißen Sonne Zuflucht. Von hier aus schauten sie zu, wie Sarah das Areal vor der Tempelruine vermaß.
»Darf ich Sie etwas fragen, Sir Jeffrey?«, erkundigte sich Fox bei dem königlichen Berater.
»Natürlich, Inspektor. Fragen Sie.«
»Was tun wir hier eigentlich, Sir? Ich meine, ergibt diese ganze Jagd nach einem verlorenen Artefakt, das es möglicherweise gar nicht gibt, überhaupt einen Sinn?«
Jeffrey Hull zögerte einen Augenblick mit der Antwort. »Um die Wahrheit zu sagen, weiß ich nicht, was ich denken soll«, gestand er schließlich. »Aber unabhängig von dem, was wir glauben oder nicht – unsere Gegenspieler glauben in jedem Fall an die Existenz des Buches, und sie sind bereit, dafür kaltblütig zu morden. Möglicherweise nehmen wir all dies auch nur auf uns, um ihnen das Handwerk zu legen.«
»Und wenn nicht?«, fragte Milton Fox. »Sir, ist Ihnen je in den Sinn gekommen, dass man diese Dinge vielleicht unangetastet lassen sollte? Vielleicht sind all diese Toten ja auch eine Warnung…«
»Eine Warnung?« In Hulls Augenwinkeln bildeten sich Falten der Heiterkeit. »Ist das Ihr Ernst? Ich bitte Sie, Inspektor! Wo ist Ihr Verstand geblieben? Wo Ihre Rationalität? Es gibt keine Warnungen und auch keine alten Flüche. Aber wenn sich dort unter dem Sand tatsächlich etwas verbirgt, das den Fortbestand des Empires gefährden könnte, so muss es gefunden werden, und zwar um jeden Preis. Verstehen Sie das?«
Fox zuckte zusammen. In solch wütender Entschlossenheit hatte er den königlichen Berater, den er stets für einen weisen und besonnenen Mann gehalten hatte, noch nie zuvor sprechen hören.
»Vollkommen, Sir«, versicherte er und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Sarah Kincaid zu, die das in Frage kommende Areal inzwischen enger eingegrenzt hatte. Sie winkte die Gräber heran, die damit begannen, das Gelände vor den uralten Fundamenten mit ihren Schaufeln zu bearbeiten.
»Grabt«, wies Sarah die Arbeiter an. »Grabt und meldet mir, wenn ihr auf irgendetwas Ungewöhnliches stoßt. Jeder Hinweis kann wichtig sein…«
»Das pflege ich den Zeugen eines Mordfalls auch stets zu sagen«, warf Fox ein, der nun doch neugierig nähergetreten war »aber es nützt in den wenigsten Fällen.«
»Warten wir es ab, Inspector«, entgegnete Sarah und verhüllte Kopf und Gesicht mit ihrem Halstuch, um sich gegen den einsetzenden Abendwind zu schützen, der Staub und Sand aufwirbelte. »Warten wir es ab…«
7
P ERSÖNLICHES T AGEBUCH
N ACHTRAG
Einen Tag und eine Nacht dauert die Grabung nun schon an. Schaufel für Schaufel, Stück für Stück tragen die Gräber die Dünen ab, die sich vor den Ruinen aufgetürmt hatten, ohne dabei fündig zu werden. Dennoch bin ich nicht bereit, schon aufzugeben.
Bei Einbruch der Dunkelheit habe
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