Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
tot, darum mussten wir danach für uns selbst sorgen.«
Galveron wandte den Blick ab. »Das tut mir Leid«, sagte er. »Das habe ich nicht gewusst.«
»Warum?«, erwiderte Alestan herausfordernd. »Hättest du uns dann etwa anders behandelt?«
»Wenn du schwimmen kannst, kannst du dich auch treiben lassen«, sagte der Hauptmann, plötzlich den Gesprächsgegenstand wechselnd. »Ich werde dich ziehen. Das wird ganz gut gehen.«
Sie verstauten ihre Kleider im Rucksack und banden die Schuhe außen fest. Dann befestigten sie das Seil an den Rucksäcken und schlangen das andere Ende Alestan um die Taille. Sie wollten das Gepäck zurücklassen und es herüberziehen, sobald sie auf der anderen Seite wären. Das Kniffligste war, den Dieb ins Wasser zu bekommen, aber Galveron ging als Erster und stützte ihn ab, während Alestan sich über die Kante gleiten ließ, dann hielt er ihm den Kopf über Wasser, bis der Dieb ruhig auf dem Wasser lag. Das Wasser war nicht allzu unangenehm, kalt zwar, aber nicht eisig. Sich der Tiefe nur allzu bewusst, fiel es Alestan schwer, sich zu entspannen, was aber, wie er wusste, notwendig war, ebenso dem Mann zu vertrauen, der ihn schleppte. Schließlich gelang es ihm, sich abzulenken, indem er sich vorstellte, was er seiner Schwester alles an den Kopf werfen würde, sobald er sie eingeholt hätte.
Die Überquerung war nicht allzu schwierig – besonders im Vergleich zu den vorigen Hindernissen. Auf der anderen Seite angekommen, klammerte sich Alestan mit dem gesunden Arm an die Kante und trat Wasser, während Galveron mehrere Versuche unternahm, sich hochzuziehen, was nur mit sehr viel Spritzen und Fluchen gelang. Sobald er auf dem Trocknen war, zog er Alestan heraus, dann ruhte er sich aus – immerhin hatte er beim Schwimmen die ganze Arbeit geleistet –, ehe sie die Rucksäcke auf ihre Seite zogen.
Das Wasser war bis zu einem gewissen Maße eingedrungen, aber als Ausrüstung der Gottesschwerter bestanden sie aus gewachstem Segeltuch, und der Inhalt war doch recht trocken geblieben. Alestan dachte an seine Schwester, die gezwungen war, triefend nass weiterzulaufen, während ihr die Kleider am Leib klebten. Jetzt, wo er daran dachte, sah er auch die kleine Pfütze und die feuchten Fußspuren. Ein Lächeln kroch über sein Gesicht.
Das wird sie lehren, sich wie ein Hohlkopf zu benehmen und hier unten rumzurennen.
Galveron musste in eine ähnliche Richtung gedacht haben. »Arme Aliana«, sagte er. »Sie kann sich jetzt nicht sehr wohl fühlen.«
Alestan verdrehte die Augen zum Himmel, verkniff sich aber eine Bemerkung. »Wenigstens hat Packrat zur Abwechslung mal ein Bad genommen«, war alles was er dazu sagte.
»Den hatte ich ganz vergessen«, antwortete der Hauptmann. »Du meinst, er kann schwimmen?«
»Er ist auf den Abfallhaufen groß geworden, und du weißt, wie die jedes Frühjahr überflutet werden. Die Kinder, die bis dahin nicht schwimmen können, überleben nicht.«
»Guter Myrial«, sagte Galveron leise. »Mir scheint, es gibt eine Menge Dinge, die ich über euresgleichen nicht weiß, Alestan. Es tut mir Leid. Ich glaube, wir haben sehr voreilig geurteilt und uns ein falsches Bild von euch gemacht. Stehlen ist natürlich trotzdem falsch«, fügte er rasch hinzu, »aber eigentlich verkehrt ist, dass junge Menschen wie du und Packrat zu diesem Leben gezwungen sind. Wenn es uns je gelingt, die Stadt wieder aufzubauen, müssen wir an unseren Kindern besser handeln.«
Alestan starrte ihn an.
Bewundernswert! Wir können nicht einmal sicher sein, die nächsten paar Tage zu überleben, und er redet davon, die Stadt wieder aufzubauen. Vielleicht hat Aliana doch Recht. Er würde einen viel besseren Anführer abgeben als Gilarra.
Sie schulterten ihr Gepäck und machten sich wieder auf den Weg, beide in nachdenkliches Schweigen versunken.
Je mehr sich Kalt dem Sitz des Schattenbundes näherte, desto froher war er, eine Begleitung zu haben. Nach seinem Kampf mit den Ungeheuern – den Ak’Zahar, wie sie anscheinend hießen – war er von der Phönix zu einem Unterschlupf gebracht und geheißen worden, mit Scall und dem Gefangenen zu warten, bis jemand käme und ihn sicher zur Siedlung brächte. Sie könne es nicht selbst tun, hatte sie gesagt, weil sie gebraucht würde, um die Schleierwand zu überwachen, aber sie hatte ihm versichert, dass er nicht lange warten müsste. Der Überbringer wusste sehr wohl, dass dieser erstaunliche Vogel sich weniger um sein Wohlergehen
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