Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
zufrieden, aber seit die Schleierwand zerfällt, zieht sich die Schneegrenze immer weiter zurück, und nun kommen sie von den Gipfeln herab und rauben die Brutplätze der Engel aus …«
»Was sind Engel?«
Der Wissenshüter warf hilflos die Arme in die Luft. »Tut mir Leid, ich vergesse immer wieder, dass du gerade erst angekommen bist und nichts weißt. Weil Vaure sagte, dass du die Gedankensprache beherrschst, dachte ich, du seist auch ein Wissenshüter. Doch ich würde mir darüber nicht den Kopf zerbrechen. Wenn du vor ein paar Tagen angekommen wärst, als Cergorn noch am Ruder war, sähe die Geschichte ganz anders aus, aber da jetzt Amaurn Archimandrit ist, haben sich auch die Bestimmungen geändert. Ich weiß ganz sicher, dass er gerade jetzt dringend kräftige und gesunde Wissenshüter braucht, und es geht das Gerücht, dass er vorhat, die jetzigen Schüler durch die Ausbildung zu jagen und gleich ins Feld zu schicken. So ergibt sich viel Platz für neue Anwärter wie dich. Ich denke mal, Amaurn wird dich mit offenen Armen empfangen.«
»Das hoffe ich«, sagte der Überbringer leidenschaftlich. »Grimm hat gesagt, dass er Amaurn bitten wollte, mich zu nehmen, aber jetzt wo er tot ist …«
»Du vermisst ihn wirklich sehr, nicht wahr?«
Kalt schluckte mühsam. »Mehr als ich sagen kann. Ich hatte keine Familie mehr, seit ich zum Überbringer bestimmt wurde, und er war wie ein Vater für mich.«
Kher runzelte leicht die Stirn. »Was ist ein Überbringer eigentlich? Der Ausdruck ist mir fremd.«
Kalt merkte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg. »Das wird dir furchtbar urtümlich und roh erscheinen«, begann er, »aber es ist so …« Er brauchte sich jedoch keine Sorgen zu machen, denn Kher begegnete ihm teilnahmsvoll anstatt spöttisch, und während sie ins Gespräch vertieft weiterritten, erkannte der Überbringer, was er all die Jahre vermisst hatte, die er ohne einen gleichaltrigen Freund hatte zubringen müssen.
»Das ist mal eine nette Abwechslung, muss ich sagen.« Toulac stand mit Veldan im Bug des Fährboots und sah dankbar zu, wie das Flussufer an ihnen vorbeizog. »Es ist Jahre her, dass ich auf einem Boot gewesen bin. Ich hatte schon vergessen, wie schön es ist, dahinzugleiten, anstatt laufen oder reiten zu müssen.«
Sie hatten auf dem Rückweg gute Fahrt gemacht und waren rechtzeitig zum Frühstück im Hafen von Neymis angekommen. Im Gasthaus aßen dann alle wie hungrige Wölfe, besonders aber Toulac und Zavahl, und der Fischmarkt am Kai war für die hungrigen Dobarchu-Flüchtlinge geleert worden, die ihre erste Bekanntschaft mit einem Leben an Bord wirklich sehr befremdlich fanden. Sofort nach dem Essen bedankten sie sich bei Arnond und Rowen, nahmen Abschied und stiegen für die Fahrt flussaufwärts auf das Fährboot um. Bis dahin war die Reise ereignislos verlaufen, obwohl Veldan und Elion beinahe über Bord gefallen wären, als sie Meglyn und Chalas dabei helfen wollten, das Boot durch die Engen zu staken, wo die Strömung am schnellsten war. Das Schwierigste war aber nun vorbei, der Fluss hatte sich wieder verbreitert, und das hohe Segel hatte die Arbeit übernommen. Bald würden sie zurück in der Schattenbundsiedlung sein.
»Wie lange wird es noch dauern, bis wir da sind?«, fragte die alte Kriegerin.
»Nicht mehr lange. Eine Stunde, vielleicht ein bisschen länger, bis zum Handelsposten, dann noch einmal so lange bis zur Siedlung.«
Toulac sah sie scharf an. »Und hast du vor, den ganzen Rückweg zu warten, bevor du mir sagst, was dich beschäftigt, oder sollen wir das jetzt hinter uns bringen?«
Veldan errötete, und ihre Narbe stach weiß gegen ihre rosige Gesichtshaut ab. Sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder und seufzte. »Ist es wirklich so offensichtlich?«
»Also ich will es mal so ausdrücken – du solltest nicht um Geld Karten spielen.« Dann wurde Toulac ernst. »Nun mal raus damit, Mädelchen, was ist los? Du und Elion, ihr wart die ganze Zeit ziemlich wortkarg, was Neuigkeiten aus der Schattenbundsiedlung betrifft. Macht euch dieser Anführer immer noch Ärger?«
Es folgte eine Pause. Dann redete Veldan plötzlich, und dabei schien sie die Betrachtung des vorbeigleitenden Ufers sehr fesselnd zu finden. »Du hast Recht. Du musst es früher oder später sowieso erfahren – aber ich warne dich, es wird dir nicht gefallen.«
Die Söldnerin zuckte die Achseln. »In meinem Leben hat es eine Menge Dinge gegeben, die mir nicht gefallen haben. Ich werd’s
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