Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
ihre Abfälle in den Fluss oder ins Hafenbecken – das ist eine schlechte Angewohnheit, aber sie tun es trotzdem – und alle möglichen Dinge landen hier am Strand. Und mit all den Klippen sieht mir das nach einer gefährlichen Küste aus. Wenn hier häufig Schiffe leck schlagen, gibt es viele nützliche Sachen zu finden. Achte auf alles, was sich vielleicht als brauchbar erweisen könnte: Seilstücke, Fischernetze, Behälter, worin man kochen oder Wasser tragen kann. Die Möglichkeiten sind zahllos. Gebrauche nur deine Vorstellungskraft und deine Findigkeit. Du wirst staunen, worauf man hier stößt, und ich möchte wetten, wenn du erst einmal damit angefangen hast, wirst du noch sehen, dass es eine ganze Menge mehr Spaß macht, Strandgut zu suchen, als Hierarch zu sein.«
»Wie die Dinge zuletzt standen, hätte es sogar eine ganze Menge mehr Spaß gemacht, sich die Fingernägel mit glühenden Zangen herausreißen zu lassen«, entgegnete Zavahl säuerlich, der nicht an sein Versagen und das zurückgelassene Durcheinander erinnert werden wollte.
»Bedenke, welches Glück du gehabt hast, dass du als erster Mensch in der Geschichte Tiaronds deiner Pflicht lebendig entkommen bist«, sagte Toulac lebhaft. »Und jetzt gehst du in diese Richtung, ich in die andere. Bring alles, was du findest, hierher – meinst du, dass du die Stelle wiedererkennst?«
»Mit diesem abgebrochenen Felsstück und dem Dunghaufen davor, den du fast verfehlt hättest – ja, ich nehme an, dass ich den wiederfinde.«
Toulac sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Du solltest vorsichtig sein, mein Junge. Das nächste, was dir die Leute ankreiden werden, ist, dass du Humor entwickelt hast, und was machst du dann?«
Ehe sich Zavahl eine Erwiderung einfallen lassen konnte, war sie schon wieder völlig bei der Sache. »Wir treffen uns am Mittag wieder und sehen, was wir aufgesammelt haben.«
»Was ist mit denen da?« Zavahl deutete auf die großen Otter, von denen manche jenseits der Brandung fischten und die runden Köpfe hin und wieder über die Wellen reckten, während andere in den Gezeitentümpeln geschickt Steine umdrehten. Die kleinen schwarzen Tatzen sahen Menschenhänden sehr ähnlich. »Du sagst, dass sie vernunftbegabt sind, aber kann man ihnen auch trauen?« Er fand es noch immer schwer zu glauben, dass Toulac sich mit solchen Geschöpfen durch Gedankenübertragung verständigen konnte. Wäre nicht der Umstand gewesen, dass er mit dem Drachen Aethon, dessen unfreiwilliger Wirt er war, fast dasselbe tat, er hätte geglaubt, dass sie log oder dass das Alter ihr den Verstand verwirrte.
»Wem, den Dobarchu?« Toulacs Miene wurde weicher, als sie zu den Wesen mit dem braunen Fell hinüberschaute. »Nun, sie sind bestimmt einigermaßen freundlich, und ich habe so ein Gefühl in den Knochen, dass man ihnen trauen kann. Sie haben angeboten, ihren Fang mit uns zu teilen, und wenn wir später Zeit haben, werde ich mich eine Weile mit ihnen unterhalten.« Sie drehte sich zu Zavahl um. »Dann wollen wir mal sehen, dass wir uns häuslich einrichten, ja? Wir haben eine Menge Arbeit vor uns.«
Als er sich zum Gehen wandte, fügte sie hinzu: »Nur noch eins. Außer wenn du eine Höhle oder Süßwasser findest, halte dich vom Fuß der Klippen fern. Wir haben bereits am eigenen Leib erfahren, wie leicht der Fels abbröckelt.« Sie deutete auf die Gesteinsbrocken und Geröllhaufen. »Nachdem wir die Entführung durch diese Schreckgestalten überlebt haben, wirst du nicht das Zeitliche segnen wollen, indem du dich unter einem großen Steinhaufen begraben lässt.«
»So dumm bin ich auch wieder nicht«, entrüstete sich Zavahl.
»Darauf würde ich nicht wetten.« Damit drehte sich Toulac um und stapfte über den Strand davon, die Augen fest auf den Boden geheftet.
Dass er nun auf sich allein gestellt war, änderte wiederum alles. Zavahl, in der Stadt geboren und aufgewachsen, war angesichts der einsamen Weite von Meer, Strand und Himmel vorübergehend erschüttert. Er wollte zu gern eine Ausrede finden, um Toulac hinterher rennen zu können, deren robuste, tüchtige Art er immer mehr zu schätzen lernte. Nur eines hielt ihn davon ab. Zu seiner Verblüffung empfand er neuerdings einen Stolz, der ganz anders war als die hochmütige Erhabenheit des Hierarchen von Callisiora. Diese Art von Überheblichkeit entsprang Vorrechten und Reichtum, war die Fußangel des verwöhnten Wohllebens, das seinem einstigen Rang entsprach, wo Diener ihm jeden
Weitere Kostenlose Bücher