Der Schattenesser
überragten selbst das Dach des Hauses. Nicht einmal der Sturm vermochte den Flammen etwas anzuhaben, vielmehr trieb er die Funken zum Haus hinüber und setzte es in Brand.
Michal beobachtete vom Waldrand aus die Skelette beim Totentanz im Inferno, wie Motten an einem Lagerfeuer. Brannten, glühten, zerfielen zu Asche.
Zuletzt schrie er lachend seinen Gruß an die Baba Jaga hinaus in die Nacht, doch der Sturm riß ihm die Worte von den Lippen, das Tosen und Brüllen betäubte seine Ohren, und als Michal endlich den dunklen Weg Richtung Prag einschlug, da glaubte er ein Bersten und Toben in den Wäldern zu hören, als wälze sich etwas Riesiges zwischen den Bäumen hervor und springe stampfend um das Feuer.
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KAPITEL 3
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A m Morgen passierten Sarai und Cassius die Brücke. Nicht zu langsam, nicht zu schnell, ganz wie es das Gesetz der Liga verlangte. Eilig gingen sie durch die Gassen der Judenstadt. Sarai erschienen die dichtgedrängten Häuser wie Bühnenkulissen aus Holz und Papier, flach, dünn, seltsam tiefenlos und schief. Die meisten beugten sich krumm vornüber, reckten ihre Giebelüber die Gassen und Straßen, als wollten sie alles in ihren Schatten ertränken. Winzige schwarze Fenster blinzelten auf sie herab, Fassaden wie mürrische Gesichter alter Weiber, erstarrt in maskenhafter Übellaunigkeit. Die Menschen huschten schweigend und düster von Tür zu Tür, mieden es wenn möglich ganz, auf die Straße zu treten, denn zu groß war die Furcht vor den Söldnern der Liga.
Cassius trug seinen bunten Mantel, was ihn wie einen Farbklecks von den grauen Gestalten in den Gassen abhob. Sein Haar war unter einem breitkrempigen Hutverborgen, sein Gesicht lag im Dunkeln. Sarais Kleidung war immer noch feucht, obgleich nicht so sehr, daß es aufgefallen wäre. Das war auch nicht nötig: Cassius zog in seinem Aufzug ohnehin alle Blicke auf das ungleiche Paar.
Wann immer sie auf Soldaten trafen - es waren nicht viele -, ließ man sie anstandslos passieren. Sarais Verwirrung und Trauer waren immer noch zu groß, als daß sie sich allzu viele Gedanken darüber gemacht hätte. Erst im nachhinein fiel ihr auf, wie mühelos sie durch die besetzte Stadt gewandert waren.
Der alte Mystiker hatte darauf bestanden, erst am Morgen mit ihr in die Judenstadt zu gehen, und ihm war anzumerken, mit welchem Widerwillen ihn die Vorstellung erfüllte. Er tat es aus Zuneigung zu Sarai, und sie hatte ihn nicht mehr als einmal darum bitten müssen. Doch daß es ihm mißfiel, den Mihulka-Turm zu verlassen, war offensichtlich. Zumal er nicht den Weg durch die Burg und die Schloßstiege hinab gehen konnte (er wollte seine Anwesenheit auf dem Hradschin in niemandes Erinnerung rufen), sondern mit Sarai über die Mauer steigen mußte. In seinem Alter eine beträchtliche Leistung, die mit allerlei Knurren und Ächzen einherging.
Sarai hatte ihm alles geschildert, was in der Nacht geschehen war, und Cassius war Freund genug, um ihr bereitwillig Hilfe anzubieten. Die Umstände von ihres Vaters Tod schienen auch ihm höchst seltsam, wenngleich er wußte, mit welcher Trauer der Mann zu kämpfen hatte, seit Sarais Mutter tot war. Er sprach nicht über das, was er dachte, doch auf seiner Stirn erschienen tiefe Falten, als seine Gedanken allerlei Fäden miteinander verknüpften, wieder lösten und andere neu zusammenführten.
So eilten sie die Geistgasse hinab, bogen in den Seitenweg und betraten das Hinterhaus, in dem Sarais Quartier lag. Sie hatte vorher noch nicht darüber nachgedacht, und die Erkenntnis bedeutete ihr weniger als nichts , doch die drei Zimmer im zweiten Stock gehörten nun ihr allein. Es gab keine Verwandten, keine anderen Erben, wahrscheinlich nicht einmal ein Testament. Als einzige Tochter fiel ihr der gesamte Familienbesitz zu, und der bestand allein aus diesen Zimmern. Sarai war es gleichgültig, es widerstrebte ihr jetzt schon, zurückzukehren. Sie hätte keine Träne vergossen, hätten die Ligasöldner den Häuserblock, ja, die gesamte Judenstadt dem Erdboden gleichgemacht. Sie wollte hier nicht mehr leben, hatte sogar schon eine Vorstellung, wo sie fortan wohnen wollte, doch noch verschwieg sie Cassius wohlweislich diesen Plan. Er hätte ihn zweifellos, nun ... überrascht.
Die Tür ihrer Unterkunft war nur angelehnt, genauso, wie Sarai sie zurückgelassen hatte. Es sah nicht aus, als hätte jemand in der Nacht das Quartier betreten. Aus den anliegenden Eingängen drangen die Laute des Alltags -
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