Der Schattenesser
hoffte, sie würde sich auf Nadjeschda übertragen.
Der Alte verlegte sich aufs Bitten, was Michal wie ein Schritt zum Sieg erschien. »Vernünftig sein, bitte«, sagte Zdenek. »Lauft in Verderben.«
Michal beschloß, ihn mit den eigenen Waffen zuschlagen. »Aber spracht Ihr nicht selbst von der Baba Jaga, und daß sie alles vernichten wird? Wie könnt Ihr ausharren und auf sie warten wollen?«
»Baba Jaga folgt dem Tod, bringt ihn nicht. Großer Unterschied.« Der Alte senkte seine Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. »Baba Jaga spricht zu mir, nachts in Schlaf und Traum. Sagt, werden alle Soldaten bestrafen, Hex und Zdenek gemeinsam - und Mann, Frau, Kind, wenn bleiben. Werden eins mit Baba Jaga. Zermalmen Soldaten, zermalmen Mörder von Zdeneks Familie.«
Michal schüttelte den Kopf und streckte eine Hand nach dem irren Papiermacher aus. Er wollte ihn sanft beiseiteschieben , doch der Alte schrie plötzlich gellend auf.
»Greift mich an?« kreischte er mit wilder Grimasse.
»Greift Zdenek an?«
Michal warf einen Blick auf Nadjeschda. Sie verfolgte das Geschehen ungläubig, fast fassungslos. Aus ihren Augen sprach die Angst, die Lage könne ihm entgleiten. Das aber würde er nicht zulassen.
Er packte Zdenek nun endgültig am Arm und zog ihn aus dem Türrahmen. Es schmerzte ihn, soweit gehen zu müssen, mehr noch, als er den zerbrechlichen Knochen des Alten in seinen Fingern spürte. Er wollte ihm nicht weh tun. Warum ließ der Papiermacher sie nicht einfach gehen?
Zdenek kreischte neuerlich auf. Grelle, hohe Laute drangen von seinen Lippen, als er an seinen Gästen vorüber stürzte und zum Tisch lief.
Michal drängte Nadjeschda mit dem Kind nach draußen, sah sich selbst ein letztesmal um.
Der Papiermacher kam mit einem seiner Messer auf ihn zugerannt. Holte aus. Stach zu.
Die scharfe Klinge fuhr in Michals Oberarm.
Michal holte mit der anderen Hand aus und schlug sie Zdenek ins Gesicht. Der alte Mann keuchte, ließ das Messer fallen und stürzte zu Boden.
»Nicht gehen!« schrie der Papiermacher noch einmal, dann war Michal mit Nadjeschda und der Kleinen bereits an der Tür, die zur Vorderseite des Gebäudes führte.
Sein Arm schmerzte, aber die Wunde war nicht tief. Blut durchnäßte seine Kleidung. Zu wenig, als daß es wirklich eine Gefahr gewesen wäre.
Michal riß die Tür auf, blickte dabei zugleich nachhinten. Zdenek kam auf sie zugestolpert, viel zu langsam, um sie rechtzeitig zu erreichen. Nadjeschda sprang mit Modja im Arm ins Freie.
»Wir wollen nur nach Prag«, rief Michal dem Alten entgegen, immer noch bemüht, einen Kampf zu vermeiden.
Nadjeschdas Aufschrei ließ ihn herumwirbeln.
Sein Blick fiel auf den Platz vor dem Haus.
Was er sah: einen ausgeglühten Scheiterhaufen, darauf zwei Pfähle. An den Pfählen zwei menschliche Gerippe, von schwarz verkohltem Fleisch kaum noch zusammengehalten. Zdeneks Frau und Tochter, gestorben im Feuer der Soldaten. Der Alte hatte sie stets vor Augen gehabt. Er hatte seine Knochenfrauen nach ihrem Bild geschaffen.
Die verbrannten Frauen aber waren nicht der Grund, weshalb Nadjeschda geschrien hatte. Sie schrie wegen des Dutzends bewaffneter Soldaten, das vor dem Haus auf sie wartete.
Gebrüllte Befehle. Blitzende Waffen. Stiefelschritte.
Grobe Hände rissen Modja aus Nadjeschdas Armen und warfen sie achtlos beiseite. Andere packten die junge Mutter, zerrten Michal zu Boden.
Er sah noch, wie sie Nadjeschda die Kleider vom Leibe rissen, er brüllte und schrie und kreischte, wehrte sich mit all seiner Kraft.
Ein Gewitter aus Stiefeltritten hagelte in sein Gesicht und brachte ihn zum Schweigen.
Durch die Schwärze hinter seinen Augenlidern galoppierte die Baba Jaga in ihrem Haus auf Hühnerbeinen. Sie kam auf ihn zu, er konnte sie sehen, sah sie in der offenen Tür, wie sie mit verzerrter Fratze das Haus zu schnellerem Lauf antrieb. Ihr zahnloser Mund war aufgerissen, die blutunterlaufenen Augen glühten vor Haß. Die riesigen Krallen der Hühnerbeine rissen Wunden in die Dunkelheit. Mit jedem Schritt ein neuer Schmerz.
»Baba Jaga kommt schon bald. Baba Jaga hilft.«
Die Worte wehten wie ein fremder Sinneseindruck in sein Denken. Michal hätte nicht zu sagen vermocht, ob es ein Geruch war, den er wahrnahm, etwas, das er hörte oder sah. Aber da war etwas, ganz ohne Zweifel. Es sprach zu ihm.
Es dauerte lange, ehe er die Stimme erkannte und die Augen aufschlug.
Zdenek, der Papiermacher, kauerte neben ihm, beugte sich über sein
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