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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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auf den zweiten Blick erkannte. Er erinnerte sich daran, dass dieser Vogel für Imke Thalheim eine besondere Bedeutung hatte.
    »Er beschützt mich«, sagte Imke, die seinem Blick gefolgt war, leise.
    In diesem Moment hätte Bert gern mit dem Tier getauscht. Er hätte alles getan, um nur selbst ein einziges Mal so von dieser Frau angeschaut zu werden. Und um sie beschützen zu können. Vor dem ganzen Leid der Welt.
    Er faltete den Brief zusammen und schob ihn in die Tasche seines Sakkos.
    »Ein Spinner?«, kam Imke Thalheim auf ihr Gespräch zurück. »Oder ein Irrer?«
    Die wenigsten Menschen hätten zwischen den beiden Begriffen einen Unterschied gemacht. Doch sie als Schriftstellerin wusste, von was sie da redete, und er als Polizeibeamter ebenfalls.
    »Eher ein Irrer«, antwortete er zögernd.
    »Ein Psychopath?«
    »Hören Sie …«
    »Ein Psychopath? Ja oder nein?«
    Auf einmal wusste Bert, dass es keinen Sinn hatte, auszuweichen. Sie befand sich in Gefahr. Möglicherweise. Nein, bestimmt. Das ließ sich nicht herunterspielen.
    »Ich kann Ihre Frage nicht beantworten«, sagte er. »Noch nicht. Aber ich werde mich darum kümmern. Das verspreche ich Ihnen.«
    »Gut.«
    Sie lächelte und wollte sich wieder dem Bussard zuwenden, doch der war vom Dach der Scheune verschwunden. Bestürzung malte sich auf ihrem Gesicht. Sie verschränkte die Arme vor dem Magen, als wäre ihr kalt.
    Bert hätte ihr gern sein Sakko umgehängt, aber er blieb reglos sitzen. Er fragte sich, warum er sich so elend fühlte.
     

Kapitel 11
    Bert erwartete den Besuch Imke Thalheims mit leichter Beklemmung. Er hatte gewusst, wie scharf Isa beobachtete, aber er hätte nie gedacht, dass er so leicht zu durchschauen war. Ihr  Du magst diese Frau hallte noch in ihm nach.
    Wie weit war es mit ihm gekommen.
    Imke Thalheim jetzt gegenüberzutreten, fiel ihm schwer. Am liebsten hätte er ihr abgesagt und sich irgendwo verkrochen, wo niemand ihn kannte, wo keiner Fragen stellte, wo er einfach in Ruhe gelassen würde.
    Er hatte vor, gemeinsam mit Imke Thalheim herauszufinden, ob es Anzeichen in ihrem Alltag gab, die sie übersehen hatten, Hinweise auf den Stalker, die vielleicht erst auf den zweiten Blick erkennbar waren. Es gab keine verwertbaren Indizien, also musste er Imke dazu bringen, nachzudenken, wieder und wieder, so lange, bis sie auf etwas stoßen würde, mit dem sie arbeiten konnten.
    Zerstreut saß er vor seinen Notizen und horchte auf jedes Geräusch. Das wiederholte Surren des Fahrstuhls, das entfernte Klingeln eines Telefons, ein Hupen unten auf der Straße. Er hatte ein Fenster geöffnet und atmete dankbar die kalte Luft ein, die von draußen hereinströmte. Sie ließ ihn frösteln, und das tat ihm gut, denn es lenkte ihn ab.
    Und dann hörte er ihre Schritte auf dem Flur.
    Er wappnete sich.
    Minuten später saß sie ihm gegenüber, den dampfenden  Kaffeebecher in der Hand, und sah ihn erwartungsvoll an. Bert hatte absichtlich darauf verzichtet, ihr eine Tasse zu besorgen. Er wollte das Gespräch so sachlich wie möglich abwickeln und hatte den Automatenkaffee in dem üblichen braunen Pappbecher gezogen.
    Man konnte ihn nur am oberen Rand anfassen, ohne sich die Finger zu verbrennen. Imke Thalheim tat das mit einer Anmut, die er bewunderte. Ihre Hände waren lang und schmal, die Finger schlank und gepflegt. Sie trug die Nägel relativ kurz geschnitten, was ihm gefiel. Ihn fror beim Anblick künstlicher, lackierter Krallen, wie es sie mittlerweile mit allen nur erdenklichen Mustern in jeder nur vorstellbaren Farbe gab.
    »Ich möchte Sie bitten, noch einmal zu überlegen, ob Ihnen in letzter Zeit ungewöhnliche Dinge aufgefallen sind. Die winzigste Unregelmäßigkeit in Ihrem Alltag kann von Bedeutung sein.«
    Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. »Beim besten Willen nicht. Ab und zu ein Anruf, der nicht zustande kam, weil der andere aufgelegt hatte. Einige falsche Verbindungen. Die eine oder andere seltsame E-Mail. Das Übliche eben.«
    Berts Augenbrauen gingen in die Höhe.
    »So etwas nimmt man doch nicht ernst!« Sie stellte den Becher ab und verschränkte die Hände ineinander. Die Geste hatte etwas Beschwörendes. »Das passiert doch alle Tage. Wer denkt denn da gleich an … so etwas.«
    Ihre Naivität rührte ihn. Er hatte das Bedürfnis, ihre Hände in seine zu nehmen, ihr in die Augen zu schauen und im Brustton der Überzeugung zu behaupten, alles werde wieder gut.
    »Wie oft kamen diese Anrufe?«, fragte er stattdessen.

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