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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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überzeugen, dass sie ins Bett gehörte.
    Von da an war der Tag komplett aus dem Ruder gelaufen.
    Tilo hatte sich gewünscht, sich verdoppeln oder verdreifachen zu können. Er hatte versucht, Ruhe zu bewahren und eine Gelassenheit auszustrahlen, von der er Lichtjahre entfernt gewesen war. Die Routine war ihm dabei zu Hilfe gekommen. Sie sprang immer ein, wenn er im Chaos unterzugehen drohte.
    Jetzt saß er da, die Füße auf dem Schreibtisch, die Hände im Nacken verschränkt, und genoss mit geschlossenen Augen die Stille, die nach dem letzten Termin in den Räumen eingekehrt war. Er fühlte sich alt.
    Erschöpft und ausgelaugt, wie er war, freute er sich auf den Anblick der alten Mühle. Auf den Moment, in dem er den Zündschlüssel abziehen und die Scheune verlassen würde. Auf das Knirschen der Kieselsteinchen unter seinen Schritten. Auf Imke, die ihm aus ihrem Zimmer entgegenkommen würde, die Lesebrille noch auf der Nase, das Haar zerstrubbelt, weil sie die Angewohnheit hatte, beim Denken die Finger darin zu vergraben.
    Sie würden sich unterhalten, einander immer wieder vor lauter Eifer unterbrechen und sich lachend dafür entschuldigen. Sie würden kochen und zu Abend essen und Wein trinken, der in den Gläsern funkelte.
    Tilo würde endlich zu Hause sein.
    Auf dem Weg zu seinem Wagen schob er den Gedanken an Imkes Abreise beiseite. Er wollte nicht darüber nachgrübeln, wie lange sie getrennt sein würden. Wochen? Monate? Unvorstellbar. Dabei war er jahrelang vor jeder Bindung davongelaufen.
    Alter Narr, dachte er und zog den Mantelkragen hoch.
    Der Wagen sprang nicht an. Er machte in letzter Zeit häufig Zicken. Tilo musste mal nach der Zündung sehen lassen. Vermutlich war sie nicht richtig eingestellt. Erst beim dritten Versuch begann der Motor zu tuckern, unregelmäßig und viel zu leise, als wollte er im nächsten Moment endgültig verstummen.
    Während Tilo sich einen Weg durch den Berufsverkehr bahnte, geriet er doch ins Grübeln. Er war sich absolut sicher, dass es eine kluge Entscheidung von Imke war, sich dem Stalker zu entziehen, zweifelte jedoch daran, dass der Mann daraufhin von ihr ablassen würde. Wozu war so einer fähig, wenn man ihn reizte? Und war das Sauerland weit genug entfernt, um Imke zu schützen?
    »Sonntagsfahrer!«
    Der Mercedes vor ihm war abrupt zum Stehen gekommen und Tilo wäre ihm fast aufgefahren. Das kam davon, wenn man mit dem Kopf nicht bei der Sache war. Und mit dem Herzen, dachte Tilo. Für einen Psychologen hatte er die Sorgen, die er sich um Imke machte, geradezu lehrbuchmäßig verdrängt. Das funktionierte eine Zeit lang, dann suchten sie sich von ganz allein ein Ventil.
    Der Rauch aus den Schornsteinen wurde vom eisigen Wind zerfetzt und auseinandergetrieben. Die Menschen hatten sich in ihren Jacken und Mänteln verkrochen. Einige hatten sich den Schal über die Nase geschoben. Es war eine Stimmung wie in der Vorweihnachtszeit.
    Tilo griff nach seinem Handy.
    »Ja, bitte?« Früher hatte Imke sich mit ihrem Namen gemeldet. Das tat sie nun nicht mehr. Eine neue Zeitrechnung hatte angefangen. Es gab das Leben vor dem Stalker und das Leben danach. Das war ungeheuerlich.
    »Wenn du auf eine einsame Insel zögest«, fragte Tilo. »Wen würdest du mitnehmen?«
    »Dich«, antwortete Imke prompt. »Dich, einen Koffer voller Bücher, meinen Laptop, eine Vorratspackung an Kugelschreibern und jede Menge Papier. Und deswegen rufst du an?«
    »Ich wollte mich nur vergewissern, dass du auf mich wartest.«
    »Das habe ich mein Leben lang getan.« Sie lachte leise, sodass er wusste, sie hatte es nicht ernst gemeint.
    »Und ich wollte dir sagen, dass ich ein bisschen später komme. Mein Wagen ist wieder nicht angesprungen. Vielleicht schaue ich kurz bei der Werkstatt vorbei.«
    »In Ordnung. Ruf mich an, wenn sie ihn dabehalten müssen, dann hol ich dich ab.«
    Ein Rauschen störte die Verbindung und Tilo beendete das Gespräch. Auch die Freisprechanlage schien den Geist aufzugeben. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
    Tilo beschloss, einen Umweg in Kauf zu nehmen, um sich das lästige Stop and Go zu ersparen. Kurz darauf hatte er die Stadt verlassen. Der Verkehr war nicht mehr so dicht. Auf den Gehsteigen sah man nur noch vereinzelt Menschen. Tilo überholte den Sonntagsfahrer, machte das Radio an und gab Gas.
     
    Richie war schon dabei, die Werkstatt zu kehren, als noch ein Wagen auf den Hof fuhr. Manuel fluchte leise in sich hinein. Er hatte sich auf einen pünktlichen Feierabend

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