Der Schattenprinz
richtigen Stimmung bin.«
»Na schön.« Ananais nickte einmal, und ein Schmerz explodierte wie Höllenfeuer in Karespas Rücken. Er versuchte, sich umzudrehen, doch Dunkelheit umfing seinen Geist. Galand zog sein Schwert aus dem Körper des Toten und wischte es am Mantel des Generals sauber. Dann setzte er sich neben Ananais.
»Es ist eine Schande«, sagte der schwarzbärtige Krieger.
»Wir konnten ihn nicht gehen lassen, bei allem, was er wußte.«
»Das glaube ich auch. Bei den Göttern, General, wir haben gesiegt! Ist das nicht unglaublich?«
»Nicht, wenn Tenaka es geplant hat.«
»Komm schon, alles Mögliche hätte passieren können! Sie hätten nicht angreifen müssen. Sie hätten ebensogut die Pferde zurücklassen und die Bogenschützen vorschicken können, um uns zurückzutreiben.«
»Hätten. Könnten. Haben Sie aber nicht. Sie haben nach Plan gehandelt. Nach dem KavallerieHandbuch ist der offenkundige Angriff zu Pferde gegen ungeübte Fußtruppen die sofortige Attacke. Die Legion besteht aus disziplinierten Männern, und deshalb handeln sie nach dem Handbuch. Soll ich dir Kapitel und Absatz nennen?«
»Nicht nötig«, murmelte Galand. »Ich nehme an, du hast es geschrieben.«
»Nein. Die letzten Änderungen hat Tenaka Khan vor achtzehn Jahren vorgenommen.«
»Aber nur mal angenommen …«
»Wozu, Galand? Er hatte doch recht.«
»Aber er konnte nicht wissen, wo Karespa mit seinem Hornbläser warten würde. Und doch hat er Parsal und mir befohlen, zu diesem Hügel zu gehen.«
»Von wo sonst hätte Karespa die Schlacht beobachten können?«
»Er hätte bei seinen Männern bleiben können.«
»Und seinem Hornbläser die Entscheidungen überlassen sollen?«
»Bei dir hört sich das so einfach an. Aber Schlachten sind nicht so. Strategie ist eine Sache, Herz und Können eine andere.«
»Das bestreite ich nicht. Die Legion hat nicht ihren besten Kampf geliefert. Unter ihnen sind viele gute Männer, und ich glaube nicht, daß sie ihrer Aufgabe gern nachgekommen sind. Aber das ist Vergangenheit. Jetzt werde ich die Männer der Legion fragen, ob sie sich uns anschließen wollen.«
»Und wenn sie ablehnen?«
»Dann schicke ich sie ins Tal hinaus - wo du mit hundert Bogenschützen warten wirst. Niemand darf mit dem Leben davonkommen.«
»Du bist grausam, General!«
»Ich bin am Leben. Und ich habe vor, am Leben zu bleiben.«
Galand stand auf. »Ich hoffe es, General. Und ich hoffe, Tenaka Khan kann noch ein Wunder vollbringen, wenn die Bastarde kommen.«
»Das ist morgen«, sagte Ananais. »Wir wollen das Heute genießen.«
An einem geschützten Wasserfall hoch in den Bergen, wo die Luft kühl und rein war und der Schnee in Flecken auf den Hängen lag, fand Tenaka die Einsamkeit, die er brauchte. Langsam und sorgfältig entfachte er in einem Kreis aus Steinen ein Feuer und setzte sich, um die Flammen zu betrachten. Er fühlte keinen Jubel über den Sieg; seine Gefühle hatte er zusammen mit dem Blut der Erschlagenen abgewaschen. Nach einer Weile ging er zum Fluß, denn er erinnerte sich an die Worte Asta Khans, des uralten Schamanen des Stammes der Wolfsschädel.
»Alle Dinge auf der Welt sind für die Menschen erschaffen worden, doch alles dient zwei Zwecken. Die Wasser fließen, daß wir von ihnen trinken können, doch sie sind auch Symbole für die Vergänglichkeit des Menschen. Sie spielen unser Leben in rauschender Schönheit wider, geboren in der Reinheit der Berge. Wie kleine Kinder plappern und laufen sie, strömen und wachsen, während sie zu großen Flüssen werden. Dann werden sie breit und langsam, bis sie sich schließlich träge winden, wie alte Männer, um sich mit dem Meer zu vereinigen. Und wie die Seelen der Menschen in der Großen Leere mischen und vermengen sie sich, bis die Sonne sie als Regentropfen wieder hinaufträgt, damit sie erneut auf den Bergen niedergehen.«
Tenaka tauchte die Hand in das fließende Wasser. Er fühlte sich fehl am Platz, außerhalb der Zeit. Ein Vogel setzte sich auf einen Felsen in der Nähe, ohne ihn zu beachten. Er war klein und braun und auf der Suche nach Nahrung. Plötzlich tauchte er ins Wasser, und Tenaka sprang auf, beugte sich vor und beobachtete, wie er unter Wasser zu fliegen schien: ein geisterhafter Anblick. Er kam wieder an die Oberfläche, hüpfte auf einen Stein und schüttelte das Gefieder; dann tauchte er wieder in den Fluß. Auf seltsame Weise beruhigte Tenaka dieser Anblick. Er beobachtete den Vogel noch eine Weile; dann
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