Der Schattenprinz
dünnen Zweigen abgedeckt waren. Die Reiter und Pferde versanken, als wären sie von einem unsichtbaren Riesen niedergezerrt worden. Die zweite Reihe, zu nah dran, ging in einem Durcheinander wild auskeilender Pferde mit zu Boden.
»Attacke!« rief Ananais, und dreihundert SkodaKrieger jagten sich schlagend und hämmernd heran. Die übrigen hundert Krieger schickten Pfeilhagel über die Köpfe ihrer Kameraden hinweg in die Reihen der Lanzenträger. Diese hatten ihre Pferde gezügelt und boten den Bogenschützen sitzende Zielscheiben. Vom Hügel herab fluchte und schimpfte Karespa, der Legionsgeneral. Er drehte sich im Sattel um und befahl seinem Hornisten, zum Rückzug zu blasen. Die schrillen Töne erreichten die Kämpfenden, und die Legion zog sich zurück. Karespa winkte, deutete nach links, und die
Lanzenträger rissen ihre Pferde herum, um die Flanke anzugreifen. Ananais zog seine Truppe auf den Hügelkamm zurück.
Die Legion griff erneut an - nur, damit ihre Pferde über die im hohen Gras gespannten Stolperdrähte stürzten. Wieder ließ Karespa zum Rückzug blasen. Da er keine andere Wahl hatte, ließ er seine Männer absteigen und zu Fuß vorrücken, mit den Bogenschützen als Nachhut. Sie kamen nur langsam voran, da die Männer in den ersten Reihen ängstlich zögerten. Sie trugen keine Schilde und hatten Furcht, den Bogenschützen der SkodaKrieger zu nahe zu kommen.
Knapp außer Schußweite blieb die erste Reihe stehen und machte sich für einen hektischen Wettlauf bereit. In diesem Augenblick erhoben sich Lake und fünfzig Mann hinter ihnen, warfen ihre mit langen Gräsern getarnten Decken zur Seite und kletterten aus den verborgenen Gräben neben den Felsen. Von seinem Standort auf dem Hügel blinzelte Karespa ungläubig, denn für ihn sah es so aus, als kämen die Männer direkt aus dem Erdboden.
Rasch legte Lake einen Pfeil auf die Sehne, und seine Männer taten es ihm nach. Ihr Ziel waren die feindlichen Bogenschützen. Fünfzig Pfeile sirrten davon, dann noch einmal fünfzig. Es war die Hölle. Ananais führte seine vierhundert Mann überraschend zum Angriff, und die Legion brach unter dem Ansturm niedersausender Klingen zusammen. Karespa wollte erneut den Rückzug befehlen, als sein Hornbläser plötzlich von einem schwarzbärtigen Krieger aus dem Sattel geworfen wurde. Der Mann stand jetzt mit gezogenem Dolch grinsend neben Karespas Pferd. Andere Krieger standen in der Nähe und lächelten humorlos.
Galand setzte das Horn an die Lippen und ließ das schmerzliche Signal zur Kapitulation ertönen. Dreimal erklang das Horn, bis auch der letzte Legionskrieger seine Waffen niedergelegt hatte.
»Es ist vorbei, General«, sagte Galand. »Sei so gut und steig ab.«
»Ich will verdammt sein, wenn ich das tue!« fauchte Karespa.
»Du wirst tot sein, wenn du es nicht tust«, versprach Galand.
Karespa glitt aus dem Sattel.
Unten im Tal saßen sechshundert Legionskrieger im Gras, während die Skoda-Männer zwischen ihnen umhergingen und ihnen Waffen und Brustplatten abnahmen.
Decado schob sein Schwert in die Scheide und ging zu Acuas, der neben dem gefallenen Abaddon kniete. Der Abt hatte keine sichtbare Wunde.
»Was ist passiert?« fragte Decado.
»Er hatte den stärksten Geist von uns allen. Seine Gabe war weit größer als unsere. Er hat freiwillig Karespa vor den Templern abgeschirmt.«
»Er wußte, daß er heute sterben würde«, sagte Decado.
»Er wird nicht heute sterben«, fauchte Acuas. »Habe ich dir nicht gesagt, daß Gefahren damit verbunden wären?«
»Ja. Und Abaddon ist gefallen. Viele sind heute gestorben.«
»Ich rede nicht vom Tod, Decado. Ja, sein Körper ist erschlagen, aber die Templer haben seine Seele in ihrer Gewalt.«
Steiger saß auf der hohen Mauer des Turmgartens und beobachtete die fernen Berge, um Anzeichen für die siegreiche Legion auszumachen. Anfangs war er erleichtert gewesen, als Tenaka ihn gebeten hatte zurückzubleiben; jetzt aber war er unsicher. Gewiß, er war kein Krieger und wäre in der Schlacht kaum von Nutzen gewesen. Aber trotzdem - dann hätte er wenigstens gewußt, wie es ausgegangen war.
Dunkle Wolken ballten sich zusammen und ließen keine Sonnenstrahlen mehr durch. Steiger zog den blauen Mantel fester um die Schultern und verließ die Mauer, um zwischen den windgeschützten Beeten einherzuwandern. Vor etwa sechzig Jahren hatte ein alternder Ratsherr den Garten erbaut.
Seine Sklaven hatten mehr als drei Tonnen Erde auf den Turm geschleppt.
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