Der Schattenprinz
zu machen?« entgegnete Katan.
»Die Worte hören sich gut an, das Argument ist jedoch trügerisch. Du kannst dir Ceska nicht zum Freund machen - entweder du wirst Sklave oder du stirbst.«
Katan lächelte. »Was spielt das für eine Rolle? Die Quelle herrscht über alle Dinge, und die Ewigkeit spottet über Menschenleben.«
»Du meinst, es spielt keine Rolle, ob wir sterben?«
»Natürlich nicht. Die Quelle nimmt uns auf, und wir werden ewig leben.«
»Und wenn es keine Quelle gibt?« fragte Decado.
»Dann ist der Tod umso willkommener. Ich hasse Ceska nicht. Er tut mir leid. Er hat ein Reich des Schreckens aufgebaut. Und was erreicht er damit? Jeder Tag bringt ihn dem Grab näher. Ist er zufrieden? Blickt er mit Liebe auf ein einziges Ding? Er umgibt sich mit Kriegern, um sich vor Attentätern zu schützen und braucht dann wieder Krieger, die diese Krieger im Auge behalten und Verräter aufspüren. Aber wer behält die Beobachter im Auge? Was für ein elendes Leben!«
»Dann«, sagte Decado, »sind die Dreißig also gar keine Krieger der Quelle?«
»Sie sind es, wenn sie glauben.«
»Du kannst nicht alles haben, Katan.«
Der junge Mann kicherte. »Vielleicht. Wie bist du zum Krieger geworden?«
»Alle Menschen sind Krieger, denn das Leben ist ein Kampf. Die Bauern bekämpfen Trockenheit, Überschwemmung, Krankheiten. Der Seemann kämpft gegen Sturm und Meer. Ich hatte nicht die Kraft dafür, und so bekämpfe ich Menschen.«
»Und was bekämpft ein Priester?«
Decado blickte dem ernsten jungen Mann ins Gesicht. »Der Priester kämpft gegen sich selbst. Er kann eine Frau nicht mit aufrichtiger Lust betrachten, ohne daß Schuldgefühle in ihm brennen. Er kann sich nicht betrinken, um zu vergessen. Er kann nicht einen einzigen Tag die Schönheit der Welt genießen, ohne sich zu fragen, ob er nicht lieber eine würdige Tat vollbringen sollte.«
»Für einen Priester hast du eine geringe Meinung von deinen Brüdern.«
»Ganz im Gegenteil, ich habe eine hohe Meinung von ihnen«, erwiderte Decado.
»Du warst sehr hart zu Acuas. Er hat wirklich geglaubt, er würde Abaddons Seele retten.«
»Das weiß ich, Katan. Und dafür bewundere ich ihn - euch alle. Es war nicht leicht für mich, denn ich habe nicht euren Glauben. Für mich ist die Quelle ein Geheimnis, das ich nicht lösen kann. Und doch habe ich Abaddon versprochen, dafür zu sorgen, daß seine Mission erfüllt wird. Ihr seid gute junge Männer, und ich bin bloß ein alter, in den Tod verliebter Krieger.«
»Sei nicht zu hart mit dir selbst. Du bist auserwählt. Das ist eine große Ehre.«
»Zufall! Ich kam zum Tempel, und Abaddon las mehr daraus, als gut gewesen wäre.«
»Nein« widersprach Katan. »Vergiß nicht: Du kamst an dem Tag, an dem einer unserer Brüder starb. Mehr noch - du bist nicht einfach nur ein Krieger, du bist wahrscheinlich der größte Schwertkämpfer unseres Zeitalters. Du hast ganz allein die Templer besiegt. Und mehr noch, du hast Gaben entwickelt, mit denen wir anderen schon geboren wurden. Du kamst zu unserer Rettung ins Schloß der Leere. Da mußt du der natürliche Anführer sein. Und wenn du es bist … was hat dich dann zu uns geführt?«
Decado lehnte sich zurück und betrachtete die vorbeiziehenden Wolken.
»Ich glaube, es gibt Regen«, meinte er.
»Hast du es mit Beten versucht, Decado?«
»Es würde trotzdem regnen.«
»Hast du es versucht?« beharrte der Priester.
Decado setzte sich auf und seufzte tief. »Natürlich habe ich es versucht. Aber ich bekomme keine Antwort. Ich habe es in der Nacht versucht, als ihr in die Leere reistet … aber die Quelle wollte mir nicht antworten.«
»Wie kannst du das sagen? Hast du in dieser Nacht nicht zu schweben gelernt? Hast du uns nicht durch die Nebel der Un-Zeit gefunden? Glaubst du, das hättest du aus eigener Kraft geschafft?«
»Ja.«
»Dann hast du deine eigenen Gebete erhört?«
»Ja.«
Katan lächelte. »Dann bete weiter. Wer weiß, zu welchen Höhen dich das noch tragen wird.«
Jetzt war es an Decado zu kichern. »Du spottest über mich, junger Katan! Das kann ich nicht zulassen. Dafür wirst du heute Abend vorbeten - ich glaube, Acuas braucht eine Pause.«
»Es wird mir eine Freude sein.«
Auf den Feldern galoppierte Ananais auf seinem schwarzen Wallach. Tief über den Hals des Tieres gebeugt, trieb er es an; die Hufe trommelten auf den trockenen Boden. In jenen wenigen Sekunden des Dahinrasens vergaß er seine Probleme, schwelgte in der Freiheit.
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