Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
frühen Nomadenstämmen, die sich hier niedergelassen hatten, über die Paläste der ersten Dynastie, bis hin zum Beginn der Ælonischen Epoche, als Wunder noch an der Tagesordnung gewesen waren.
Flüstermotten tanzten in Kriss’ Bauch, bei der Vorstellung, nun auch noch das Allerheiligste zu entdecken. Dort mochten nicht nur unbezahlbare Kunstgegenstände lagern, sondern vielleicht sogar die Tempelchroniken!
Irgendwann brachten sie die letzte Stufe hinter sich. Kriss hielt den Atem an. Eine Steintür versperrte ihnen den Weg. Weiße Kristalle waren darin eingelassen.
Es waren elf an der Zahl, im Kreis angeordnet. In jeden der Steine war ein Symbol eingraviert worden. Die ersten fünf Kristalle zeigten die astrologischen Zeichen der Sonne, der Monde und der drei bekannten Planeten. Die anderen trugen Darstellungen der sechs Elemente: Feuer, Wasser, Luft, Erde, Metall und Leben.
Aber es waren keine gewöhnlichen Edelsteine, denn sie glühten in einem inneren Licht, während Staubteilchen in allen Farben des Regenbogens von ihnen aufstiegen und wieder verglühten, wie die Funken eines Lagerfeuers. Kriss glaubte, die mächtige Energie, die ihnen innewohnte, als leichtes Prickeln auf ihrer Haut zu fühlen.
»Ælon«, hauchte sie, während sich ihr Herzschlag wieder beschleunigte. Es gab keinen Zweifel mehr. Irgendwo hinter dieser Tür ruhte das Allerheiligste des Tempels!
»Hmmm.« Mit knackenden Gelenken ging Alrik in die Hocke und betrachtete die Kristalle. Wieder bemerkte Kriss die doppelläufige Steinschlosspistole an seinem Gürtel. Sie hasste Waffen, aber sie vertraute Alrik, wenn er sagte, dass man nie wissen konnte, was einem in uralten Gemäuern wie diesem begegnen konnte. »Jetzt wird es interessant«, nuschelte er um das Mundstück seiner Pfeife herum.
Kriss nickte. Sie beide hatten mit etwas wie dem hier gerechnet. Und sie waren darauf vorbereitet.
Sie reichte Alrik die Laterne und zog ihr Notizbuch aus der Gürteltasche. Mit flatterigen Fingern blätterte sie durch die eng beschriebenen Seiten.
Ælon-Schlösser waren tückisch. Allzu oft hatten Forscher und Plünderer versucht, Schließmechanismen dieser Art einfach zu zerstören, um an ihnen vorbeizukommen, und dabei fast immer tödliche Fallen ausgelöst.
Ein Schloss wie dieses hier hatte Kriss schon oft gesehen. Die Symbole mussten in einer bestimmten Reihenfolge berührt werden, erst dann, und nur dann, öffnete sich die Tür.
Als Vorbereitung auf die Ausgrabung hatten Alrik und sie Nachforschungen angestellt. In den Archiven von Bakal-Sur waren sie auf die Aufzeichnungen eines Hohepriesters des Tempels der Zeit gestoßen, geschrieben in krakeligem Alt-Hondur. Zum Glück war der Hohepriester mit einem löchrigen Gedächtnis gestraft gewesen und hatte sich einen Merksatz für die Öffnung des Allerheiligsten notiert.
»Wo war es nur – Hier!« Endlich hatte Kriss die richtige Seite gefunden. »›Galbals Wagen geht und Haru erscheint‹«, übersetzte sie, »›Gorns Kinder zittern vor dem Auge.‹«
Alrik nickte verstehend. Der erste Teil des Rätsels war leicht zu entschlüsseln. Galbal war im Alten Königreich der Gott der Unterwelt und der Rote Mond sein Wohnsitz. Haru war der Gottvater und wurde durch die Sonne symbolisiert. Gorn war der Gott des Feuers und jede Flamme auf der Welt eines seiner Kinder. Nur etwas fehlte.
»Das Auge«, wiederholte Kriss. Keines der Symbole sah auch nur annähernd wie ein Auge aus!
Alrik saugte an seiner Pfeife. »Vielleicht hat sich unser vergesslicher Freund einfach verschrieben?«
»Das glaube ich nicht.« Kriss rieb sich die Stirn. »Komm schon«, beschwor sie sich. »Denk nach!« Frustriert stieß sie die Luft aus. Bria hätte es auf Anhieb gewusst!
Ihre Finger fuhren vorsichtig die Symbole entlang. Die Sonne, die Flamme, den Gelben Mond, das Wasser ...
»Ich hab’s!«, rief sie aus. »Das Auge des Krieges!«
Alrik runzelte die Stirn. »Das Auge des Krieges?«
Kriss deutete auf das Symbol des Planeten Raka, welcher nachts als roter Fleck am Himmel zu sehen war, wie das Auge eines zornigen Gottes. »Raka! Damals hat man geglaubt, sein Auftauchen kündigt Krieg an!«
Alrik strahlte sie mit großen gelben Zähnen an. »Probieren wir es!«
Kriss schluckte nervös. »Aber was, wenn ich mich irre?« Der Gedanke an lebendige Statuen und zähnefletschende Schatztruhen trieb ihr neue Schweißtropfen auf die Stirn.
»Wir werden es nicht erfahren, wenn wir es nicht ausprobieren. Geh ein Stück
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