Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
umgebracht?«
Kriss schluckte. Sie sah keine Giftpfeile oder ähnliches. Und das Skelett wies keine offensichtlichen Verletzungen auf.
Dann hörten sie das Zischen.
Kriss und Alrik wirbelten herum. Sand ergoss sich in Strömen aus dem offenen Mund der Göttin und hatte bereits einen kleinen Haufen vor ihren Füßen gebildet.
Und dieser Haufen bewegte sich. Rollte auf sie zu, wie von einem unspürbaren Wind angetrieben.
Alrik fiel die Pfeife aus dem Mund. »Zurück!«, rief er, aber das war unnötig.
Kriss rannte zur Bronzetür, doch diese hatte sich verschlossen, ohne dass einer von ihnen es gemerkt hatte. Sie hämmerte dagegen, während der Sandhaufen wuchs und wuchs und weiter auf sie zurollte, von ælonischer Energie beseelt. »Hilfe!«, rief Kriss, ohne wirklich daran zu glauben, dass einer der anderen sie hören würde. Nicht hier unten.
Alrik stellte sich schützend vor sie. »Bleib hinter mir!«, rief er und Kriss tat wie ihr geheißen.
Nur noch sechs Schritte und der Sandhaufen hatte sie erreicht; fünf Schritte! Da bäumte er sich auf wie eine Welle und nahm vage menschliche Formen an. Ein Kopf mit leeren Augenhöhlen, weit ausgestreckte Arme mit Krallen bewehrt. Bis auf das schlangenartige Zischen der Sandkörner war das Ding lautlos, wie einem Alptraum entstiegen.
» Urak! «, rief Kriss auf Alt-Hondur. Zurück! » Assaju! « Mach Sitz!
Vier Schritte!
Alrik griff die Pistole von seinem Gürtel, spannte beide Hähne. Und feuerte – Feuerstein schlug gegen Metall; das Pulver entzündete sich. Kriss riss die Hände an die Ohren, als der Knall durch die Halle dröhnte und die Waffe Qualm und Flammen spuckte. Auf diese Entfernung hätte niemand daneben schießen können, doch die Kugel durchschlug den Sandkörper des Wächters ohne die geringste Wirkung. Das Biest kam unbeirrt näher.
Alrik fluchte, legte wieder an. Er kniff das linke Auge zusammen und zielte; er wusste so gut wie Kriss, dass der zweite Schuss sein letzter sein würde. Es gab keine weiteren Türen, keinen Ort, um sich zu verstecken!
»Alrik!«, rief Kriss. »Die Statue! Ziel auf ihren Kopf!«
Ein Schritt!
Ein neuer Knall zerfetzte die Stille. Das Haupt der Göttin der Zeit zersprang in Splittern aus Stein und goldenen Fetzen. Ælon-Partikel verglühten in der Luft.
Der Sand hörte auf zu fließen. Der Tempelwächter fiel in sich zusammen; eine Staubwolke brachte die beiden Archäologen zum Husten.
»Woher ... wusstest du?«, krächzte Alrik.
Kriss schüttelte den Kopf. »Ich habe nur geraten!« Sie lachte unwillkürlich und wartete darauf, dass sich das heftige Trommeln in ihrer Brust wieder legte. Sie sah auf den Sandhaufen vor ihnen, so harmlos wie nur irgendetwas.
Ælon ist das Medium, mit dem der Mensch der Welt seinen Willen aufzwingt , erinnerte sie sich. Wie stark musste der Wille gewesen sein, der ein solches Monster zum Leben erweckt hatte?
Aber damit war es nicht überstanden.
Zuerst war es nur ein leises Grollen, wie ein weit entferntes Gewitter. Dann wurde es lauter. Und lauter. Und lauter. Die Wände begannen zu beben, die Memogramm-Behälter klirrten in ihren Nischen, Staub rieselte von der Decke.
Kriss und Alrik sahen sich schockiert an. Hatte der Kristall nicht nur dem Monster Leben geschenkt, sondern auch den Tempel zusammengehalten? Hatten sie vielleicht eine weitere Falle ausgelöst?
Kriss’ Herz machte einen Satz; sie rüttelte wieder an der Tür. Vielleicht war der Schließmechanismus zusammen mit dem Wächter außer Kraft gesetzt worden, auf jeden Fall ließ sie sich diesmal öffnen. Die Laternen in Händen flohen sie aus dem Allerheiligsten. Kriss stolperte fast über die eigenen Füße, als sie über die Treppe zurück nach oben hasteten, und sie verwünschte jedes ihrer viel zu vielen Pfunde.
Mittlerweile erzitterte der ganze Tempel. Kriss und Alrik warfen die Arme über den Kopf, während Putz und Mauerwerk von Decke und Wänden fielen.
»Der Tempel stürzt ein!«, brüllte Alrik, als sie die Haupthalle erreichten, aber soviel hatten die anderen auch schon gemerkt. Die Archäologen ließen alles stehen und liegen und rannten zurück zur Eingangshalle. »Alle Mann raus!«
Kriss schrie auf, als direkt vor ihrer Nase ein Steinbrocken von der Decke krachte; sie drehte sich zur Seite, um den fliegenden Splittern zu entgehen. Staub wallte auf; Strahlen von Sonnenlicht drangen durch immer mehr Löcher in der Kuppel. Alrik packte ihre Hand und zog sie mit sich, vorbei an der Statue der Jali.
Weitere Kostenlose Bücher