Der Schatz des Dschingis Khan
nicht denken?«
»Damit sie nicht weglaufen?«, folgerte Muriel.
»Richtig.«
»Aber so können sie sich doch gar nicht bewegen.«
»Na und?« Baku zog die Schultern in die Höhe. »Das können sie doch, wenn wir weiterziehen.«
»Warum errichtet ihr keinen Zaun?«, fragte Muriel.
»Du stellst Fragen.« Baku seufzte. »Wir sind Nomaden und ziehen das ganze Jahr durch die Steppe, da können wir doch nicht immer neue Zäune errichten.«
»Stimmt auch wieder.« Baku hatte natürlich recht. Das musste Muriel zugeben. Holz war in der nahezu baumlosen Steppe kostbar. Und natürlich konnten die Mongolen neben dem Ger nicht auch noch einen Karren mit Zäunen mit sich führen. Trotzdem konnte Muriel nicht umhin, die gefesselten Pferde zu bedauern und suchte in Gedanken nach einer Lösung, die beiden – Pferden und Mongolen – gerecht wurde.
Baku wurde ungeduldig. »Und? Welches willst du?«, fragte er in einem Tonfall, der deutlich machte, dass er eine schnelle Entscheidung erwartete. »Die Pferde sind alle gesund und ausdauernd. Die Herde des Khan ist die beste im ganzen Land. Ganz gleich, wie du dich entscheidest, das Pferd wird dir viel Freude bereiten.«
»Ja, das … das sind wirklich wunderschöne Pferde.« Muriel nickte, obwohl sie genau das Gegenteil dachte. Wenn dies die schönsten Pferde der Mongolen sein sollten, wollte sie die anderen lieber gar nicht erst sehen. Trotzdem schwindelte sie höflich weiter: »Das macht die Entscheidung ja so schwer.«
»Wenn ich mir eines aussuchen dürfte, würde ich die junge Stute da hinten nehmen«, sagte Baku. »Sie hat viel Temperament und wird gesunde Fohlen gebären.«
»Ich will aber keine Pferde züchten«, sagte Muriel bestimmt. »Ich nehme den hier!« Sie zeigte auf einen dunkelbraunen Hengst mit verfilzter Mähne, der ihr nicht, wie alle anderen Pferde, abweisend das Hinterteil zudrehte. »Wie heißt er?«
»Wie?«
»Ob er einen Namen hat?«
Baku lachte. »Du bist lustig. Pferde haben doch keine Namen.«
»Aber es sind so viele.« Muriel spürte, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. »Wie … wie haltet ihr sie denn auseinander?«
»Gar nicht. Es sind Pferde. Wir reiten sie, wir trinken ihre Milch …«, Baku lachte, »... und wenn sie zum Reiten nicht mehr taugen, essen wir sie. Wo kämen wir denn hin, wenn wir ihnen Namen geben würden, als wären sie unsere Kinder?«
»Das Pferd, das Tengri mir gab, hat einen Namen«, sagte Muriel, um ihre unbedachte Frage ein wenig zu rechtfertigen.
»Das Pferd ist ja auch etwas ganz Besonderes«, sagte Baku. »Es wird gewiss nie in einem Kochtopf landen, sondern den Fürsten bis ins Jenseits begleiten.«
... bis ins Jenseits begleiten. Muriel hatte das Gefühl, als zöge sich in ihrem Magen alles zusammen. Aber sie wollte sich keine Sorgen machen und kämpfte dagegen an.
Ascalon wird schon auf sich aufpassen, dachte sie bei sich und versuchte, nicht auf das mulmige Gefühl zu achten, das Bakus Worte bei ihr zurückgelassen hatte.
»Ich nehme diesen hier«, bekräftigte sie noch einmal.
»Dann halte ihn gut fest, sonst läuft er weg.« Baku kam heran, löste die Fesseln des Pferdes und reichte Muriel die Lederriemen. »Jetzt gehört er dir«, sagte er gönnerhaft, während der kleine zottelige Hengst schnaubte und so ungestüm die Mähne schüttelte, als könnte er es kaum erwarten, endlich loszupreschen.
Die Spiele der Männer
An diesem Nachmittag lernte Muriel mehr über das Verhältnis der Mongolen zu ihren Pferden, als es ein Buch ihr jemals hätte beibringen können. Baku wollte ihr einen Holzsattel besorgen, aber Muriel wollte dem kleinen Hengst nicht wehtun und behauptete, dass sie lieber ohne Sattel reiten würde. An der Seite von Baku führte sie ihr namenloses Pferd zurück ins Lager, wo Bakus Pferd angebunden war.
»Willst du wirklich keinen Sattel?«, vergewisserte Baku sich noch einmal, ehe sie aufbrachen.
»Nein.« Muriel schüttelte den Kopf. »Daheim reite ich auch immer ohne.«
»Na gut.« Baku zog die Schultern in die Höhe. »Du musst es ja wissen.« Dann reichte er ihr ein Halfter, band sein Pferd los und saß auf. Muriel konnte ihm ansehen, wie sehr er sich auf den Ausritt freute. Sie selbst war nach allem, was sie an diesem Morgen gesehen und erlebt hatte, etwas vorsichtiger und sah dem kommenden Ausritt mit gemischten Gefühlen entgegen.
Sie hatte erst jetzt wirklich begriffen, dass die Mongolen ihre Pferde als halbwilde Tiere ansahen und nicht, so wie sie es von zu Hause
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