Der Schatz des Dschingis Khan
gewohnt war, als lieb gewonnene Gefährten und Freunde. Entsprechend rau gingen die Mongolen auch mit den Pferden um.
Als sie aufsaß, ließ Baku sein Pferd antraben und lenkte es so geschickt zwischen den Rundzelten hindurch, dass Muriel Mühe hatte, ihm zu folgen. Ihr Hengst erwies sich als überaus dickköpfig. Er schien zu spüren, dass sie sich anders als die ruppigen Mongolen verhielt, und nutzte dies aus, um ihr zu zeigen, dass er viel lieber zum nahen Fluss reiten wollte als mit ihr in die Steppe. Muriel musste all ihr Durchsetzungsvermögen und viel Kraft aufwenden, um ihn dazu zu bewegen, eine andere Richtung einzuschlagen.
Baku erwartete sie etwas abseits der letzten Rundzelte. Übertrieben gelangweilt lümmelte er in dem unbequem anmutenden Holzsattel mit den hohen Kanten und der viel zu engen Sitzfläche und begrüßte Muriel mit einem Gähnen. »Na endlich!«, sagte er. »Ich dachte schon, du hättest es dir anders überlegt.«
»Wir müssen uns erst noch aneinander gewöhnen«, sagte Muriel, was ihr einen weiteren spöttischen Blick von Baku einbrachte. »Gewöhnen?«, fragte er auf eine Weise, als wäre das Wort eine Schande. »So ein Unsinn. Du musst ihm zeigen, wer sein Herr ist. Das ist alles. Sonst tanzt er dir auf der Nase herum.« Mit diesen Worten riss er sein Pferd herum und trieb es mit lauten »Tschu! Tschu!«-Rufen zum Galopp an. Dabei stieß er dem Pferd immer wieder die Fersen in die Seite und schreckte auch nicht davor zurück, einen Knüppel zu benutzen, der eigens zu diesem Zweck vorne am Sattel baumelte.
Mit einer Mischung aus Bewunderung und Entsetzen beobachtete Muriel, wie Baku sein Pferd in halsbrecherischem Tempo über die Steppe hetzte. Wendungen leitete er allein durch Gewichtsverlagerungen ein, beim Trab stand er in den für Muriels Empfinden viel zu kurz eingestellten Steigbügeln und riss beim Abbremsen so heftig an den Zügeln, dass es Muriel schon allein beim Zusehen wehtat.
Die Ermahnungen ihrer Mutter kamen ihr in den Sinn, dass Pferdemäuler sehr empfindlich waren und dass der Rücken der Pferde immer mit einer Satteldecke vor Verletzungen geschützt werden musste. Von Rücksichtnahme auf die Mäuler schienen die Mongolen noch nie etwas gehört zu haben, ebenso wenig, wie sie von Satteldecken Gebrauch machten, da war es kein Wunder, dass die Rücken der Tiere so geschunden aussahen.
»Ach, ihr armen Zottel.« Muriel seufzte und wuschelte ihrem Hengst durch den spärlichen Rest der Mähnenhaare. »Auch wenn ihr ausseht, wie die verarmten Verwandten unserer Rassepferde habt ihr es nicht verdient, dass die Mongolen euch so schlecht behandeln. Sie haben euch doch so viel zu verdanken und wären ohne euch hier draußen aufgeschmissen.«
Donnernder Hufschlag lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Baku, der auf sie zugaloppierte und sein Pferd mit einem scharfen Ruck an den Zügeln zum Stehen brachte. »Und jetzt du!«, rief er lachend.
Muriel zögerte. Einen schnellen Ritt ohne Sattel traute sie sich natürlich zu, wusste aber, dass sie es dabei nie und nimmer mit Bakus Reitkünsten würde aufnehmen können. Vermutlich ritten selbst seine kleinen Schwestern schon zehnmal besser als sie. Aber sie wusste auch, dass sie der Aufforderung nachkommen musste, wenn sie sich nicht lächerlich machen und als Angsthase dastehen wollte.
Baku wurde ungeduldig und nahm ihr die Entscheidung ab, indem er ihrem Hengst völlig überraschend einen Schlag auf das Hinterteil verpasste und ihn mit lauten »Tschu! Tschu!«-Rufen anspornte, schneller zu laufen. Der Hengst machte einen Satz, den Muriel gerade noch abfangen konnte, ohne herunterzufallen, und preschte los. Muriel hörte Baku lachen, hatte aber keine Zeit, sich darüber zu ärgern. Der harte Trab des kleinen Hengstes war ohne Sattel kaum abzufedern. Es fühlte sich an, als würde sie auf einer wild gewordenen Nähmaschine reiten. Viel zu spät bemerkte sie, dass sie keinen Bogen ritten, sondern in die freie Steppe hinauspreschten.
»Halt! Halt!« Bisher hatte Muriel immer geglaubt, eine gute Reiterin zu sein, aber plötzlich war sie sich da nicht mehr so sicher. Der Hengst tat, als hörte er ihre Rufe nicht und ignorierte alles Ziehen und Zerren an den Zügeln. Die Versuche, ihn durch eine Gewichtsverlagerung zum Umkehren zu bewegen, so wie sie es bei Baku gesehen hat, scheiterten kläglich.
Der Hengst lief immer weiter. Er war nicht durchgegangen, das spürte Muriel. Trotzdem bekam sie Angst. Die Steppe war so riesig und sie
Weitere Kostenlose Bücher