Der Schatz des Dschingis Khan
von den kleinen Mädchen und den alten Frauen verrichtet und war jetzt, da der Dung in der Sonne zu harten Fladen getrocknet war, nicht mehr ganz so eklig wie zuvor bei dem nasskalten Wetter.
Die drei Mädchen waren sehr nett und hatten sich so schnell mit Muriel angefreundet, dass diese sich schon nach drei Tagen in ihrer Gastfamilie wie zu Hause fühlte.
Mit dem Essen tat sie sich allerdings auch weiterhin schwer. An die Vorliebe der Mongolen für Hammelfleisch würde sie sich auch dann nicht gewöhnen können, wenn sie zehn Jahre bei ihnen leben müsste. So viel war sicher. Wäre der Hunger nicht gewesen und der Mangel an Alternativen, hätte sie vermutlich keinen Bissen Fleisch mehr angerührt, das bei den Nomaden offenbar zu jedem Essen dazugehörte.
Hammelfleisch mit Reis, Hammelfleisch in der Suppe oder in Teigtaschen gefüllt oder einfach nur in Salzwasser gekocht … Zudem schien auch Sande-An den Spruch »Nur fettes Fleisch ist gutes Fleisch« zu beherzigen, denn wie schon bei Tojas Mutter schwammen auch in ihren Töpfen immer große gelbliche Fettaugen.
Es kostete Muriel viel Mühe, nicht unhöflich zu sein, denn wie schon in Tojas Ger bekam sie als Gast auch bei Kubilays Familie immer die erste und größte Portion auf den Teller.
Ascalon bekam Muriel nicht zu Gesicht. Nur einmal, am dritten Tag, sah sie den Großkhan aus der Ferne auf ihm zur Jagd ausreiten. Der Anblick versetzte ihr einen Stich und sie spürte so etwas wie Eifersucht in sich aufsteigen. Ascalon schien das zu spüren, denn er sandte ihr einen liebevollen Gedanken und tatsächlich gelang es ihr daraufhin, sich wieder zu beruhigen.
Am vierten Tag, dem Tag vor dem Naadam, überraschte Baku sie beim Frühstück mit der Frage: »Möchtest du reiten?«
Fast hätte Muriel sich verschluckt. »Doch. Ja. Sehr gern«, brachte sie hustend hervor. »Aber ich habe kein Pferd.«
»Das macht nichts. Der Große Khan schenkt dir eins.«
»Wirklich?« Muriel war so erstaunt, dass ihr die Worte fehlten.
Baku lachte. »Ja, wirklich. Oder willst du lieber zu Fuß nach Hause laufen?«
»Nein … nein, natürlich nicht.« Muriel schüttelte den Kopf. »Aber warum …?«
»Weil er dir damit seinen Dank zeigen will«, warf Sande-An ein, die das Gespräch der beiden mit angehört hatte. »Der Große Khan ist von dem Pferd des Tengri begeistert und hat bestimmt, dass du dir zum Dank das schönste Pferd aus seiner Herde aussuchen darfst.« Sie nickte Muriel aufmunternd zu. »Das ist eine große Ehre.«
»Mein Vater hat mir die Aufgabe übertragen, dich zur Herde zu begleiten«, sagte Baku voller Stolz. »Wenn du möchtest, können wir sofort aufbrechen.«
Eine Viertelstunde später fand Muriel sich inmitten einer Herde grasender Pferde wieder, deren Risthöhe die der deutschen Reitponys nur knapp erreichte. Die Tiere hatten große Ähnlichkeit mit Wildpferden und wild schienen sie tatsächlich auch zu sein. Kaum, dass Muriel sich ihnen näherte, drehten sie ihr das Hinterteil zu.
Es war das erste Mal, dass sie den mongolischen Pferden so nahe war und sie in Ruhe betrachten konnte. Was sie sah, enttäuschte und erschreckte sie. Wie in den Pferdebüchern zu Hause beschrieben, war der Kopf der Pferde im Verhältnis zum Körper viel zu groß. Die Ohren wirkten zu klein, der Hals war zu dick, die Brust zu breit, das Fell ohne Glanz. Überhaupt sahen sie sehr ungepflegt aus. Sie waren mager, aber das konnte natürlich auch an dem Nahrungsmangel im Winter liegen. Vielen Tieren hatte man die Mähnen lieblos abgeschnitten und … Muriel sog entsetzt die Luft ein, als sie sah, dass alle Tiere lederne Fußfesseln trugen, die wohl verhindern sollten, dass sie davonliefen. Und nicht nur das: Die Pferde waren mit den Stricken ihrer Halfter an langen Leinen angebunden, die die Mongolen zwischen zwei Holzpflöcken gespannt hatten. Die Stricke waren gerade so lang, dass die Tiere in einem geringen Umkreis grasen konnten. Es war unglaublich, wie die Mongolen ihre Pferde hielten. Zu Hause würde man für so etwas eine Anzeige wegen Tierquälerei bekommen, dachte Muriel, aber hier scheint es die übliche Form der Pferdehaltung zu sein.
»Warum sind sie alle gefesselt und angebunden?«, fragte sie Baku. Die kleinen Pferde taten ihr plötzlich leid. Ein Gefühl, das sich weiter verstärkte, als sie bemerkte, dass viele der Tiere Druckstellen von den traditionellen Holzsätteln auf dem Rücken aufwiesen.
»Was für eine dumme Frage.« Baku lachte. »Kannst du dir das
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