Der Schatz im Silbersee
nicht.«
»Wer bist du? Wie ist dein Name?«
»Ich bin Ovuts-avaht, der Häuptling der Utahs.«
»Ich kenne dich. Der »große Wolf« ist stark vom Körper und vom Geiste. Er ist der Kriegsherr der Yampa-Utahs, welche tapfer und gerecht sind und den Unschuldigen nicht die Sünden des Schuldigen entgelten lassen werden.«
»Du redest wie ein Weib. Du jammerst um dein Leben. Du nennst dich unschuldig, aus großer Angst vor dem Tode. Ich verachte dich. Wie lautet dein Name? Es wird der Name eines alten, blinden Hundes sein.«
»Ist der »große Wolf« nicht selber blind? Er scheint unsre Pferde nicht zu sehen. Haben diese etwa den Utahs gehört? Es ist ein Maultier dabei. Ist es ihnen gestohlen worden? Wie kann der »große Wolf« uns für Pferdediebe halten? Er sehe doch meinen Rapphengst an! Haben die Utahs jemals ein solches Pferd besessen? Es ist von dem Blute, welches nur für Winnetou, den Apachenhäuptling, und seine Freunde gezüchtet wird. Muß der »große Wolf« nicht daraus ersehen, daß ich ein Freund dieses berühmten Mannes bin? Darf er mich da der Angst und Feigheit zeihen? Die Krieger der Utahs mögen hören, ob mein Name der eines Hundes ist. Die Bleichgesichter heißen mich Old Shatterhand; in der Sprache der Utahs aber werde ich Pokai-mu, die »tötende Hand«, genannt.«
Der Häuptling antwortete nicht gleich wieder, und die jetzt eingetretene Stille währte einige Minuten. Das war ein sicheres Zeichen, daß der Name des Jägers Eindruck gemacht hatte.
Erst nach der angegebenen Zeit war die Stimme des »großen Wolfes« wieder zu vernehmen: »Das Bleichgesicht gibt sich für Old Shatterhand aus; wir aber glauben seiner Versicherung nicht. Er weiß, daß dieser große, weiße Jäger von allen roten Männern hoch geachtet wird und nimmt dessen Namen an, um uns zu täuschen und dem Tode zu entgehen. Wir erkennen aus seinem Verhalten, daß ihm dieser Name nicht gehört.«
»Wieso?« fragte der Jäger.
»Old Shatterhand kennt keine Furcht; dir aber hat die Angst den Mut benommen, dich uns zu zeigen.«
»Wäre das wahr, so besäßen die Krieger der Utahs noch mehr Angst als ich. Ich lasse mich nicht sehen, und ihr zählt viele, viele Bewaffnete; sie aber verstecken sich, und du mit ihnen, vor nur vier Männern. Wer hat da größere Furcht, ich oder ihr?
Übrigens will ich dir beweisen, daß ich keine Bangigkeit kenne.
Ihr sollt mich sehen.«
Er trat aus seinem Verstecke hervor, stieg auf den höchsten Punkt des Felsen, blickte langsam rundum und stand so frei und unbesorgt da oben, als ob es nicht ein einziges Gewehr gebe, dessen Kugel ihn zu treffen vermöge.
»Ing Pokai-mu, ing Pokai-mu, howgh!« erklangen mehrere laute Stimmen - »er ist die »tötende Hand«, er ist die »tötende Hand«, gewiß!«
Das waren Leute, welche ihn kannten, weil sie ihn gesehen hatten. Er blieb furchtlos stehen und rief dem Häuptlinge zu:
»Hast du das Zeugnis deiner Krieger vernommen? Glaubst du nun, daß ich Old Shatterhand wirklich bin?«
»Ich glaube es. Dein Mut ist groß. Unsre Kugeln treffen viel, viel weiter als zu dir. Wie leicht kann eins unsrer Gewehre losgehen!«
»Das wird nicht geschehen, denn die Krieger der Utah sind tapfre Helden, aber keine Mörder. Und wenn ihr mich tötet, so würde mein Tod schwer an euch gerächt werden.«
»Wir fürchten keine Rache!«
»Sie würde euch ereilen und auffressen, ohne zu fragen, ob ihr euch vor ihr fürchtet. Ich habe den Wunsch des »großen Wolfes« erfüllt und mich ihm gezeigt. Warum bleibt er noch im Verborgenen? Hat er noch Angst oder hält er mich für einen Meuchelmörder, der ihn töten will?«
»Der Häuptling der Utahs hat keine Sorge. Er weiß, daß Old Shatterhand nur dann zur Waffe greift, wenn er angegriffen wird, und wird sich ihm zeigen.«
Er trat hinter dem Baume hervor, so daß seine große Gestalt vollständig zu sehen war.
»Ist Old Shatterhand nun zufrieden?« fragte er.
»Nein.«
»Was verlangt er noch?«
»Ich will mit dir in größerer Nähe sprechen, um eure Wünsche bequemer zu erfahren. Komm also näher herbei, bis zur Hälfte der jetzigen Entfernung; ich werde vom Felsen steigen und dir entgegengehen. Dann setzen wir uns, wie es würdigen Kriegern und Häuptlingen geziemt, nieder, um zu beraten.«
»Willst du nicht lieber zu uns kommen?«
»Nein; es soll der eine den andern dadurch ehren, daß sie einander gleichweit entgegenkommen.«
»Dann würde ich mit dir auf der freien Lichtung sitzen und den Schüssen
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