Der Schatz im Silbersee
versetzte ihm mit der Ferse einige Hiebe und Tritte auf die Brust und gegen den Kopf und kehrte wieder nach seinem Platze zurück.
Auf den allgemeinen Schrei trat für einen Augenblick eine tiefe Stille ein, so daß man die laute Stimme des Apachen hörte:
»Winnetou hat ihn gewarnt. Nanap neav hörte nicht und wird nun nie wieder einen Apachen beleidigen.«
Die andern Häuptlinge waren aufgesprungen, um den Alten zu untersuchen. Die Hirnschale war ihm an der rechten Seite des Kopfes eingetreten und ebenso ein Teil des Brustkastens. Er war tot. Die roten Krieger drängten heran, die Hände an den Messern und blutgierige Blicke auf Winnetou werfend. Man sollte meinen, daß die That des Apachen die Utahs zur heulenden Wut aufgestachelt hätte; dem war aber nicht so. Ihr Grimm blieb stumm, zumal der »große Wolf« die Hand zurückweisend erhob und dabei gebot: »Zurück! Der Apache hat den alten Häuptling umgebracht, um schnell und ohne Qual zu sterben. Er dachte, ihr würdet nun über ihn herfallen und ihn rasch töten. Aber er hat sich verrechnet. Er soll eines Todes sterben, den noch kein Mensch erlitten hat. Wir werden darüber beraten. Schafft den alten Häuptling in seiner Decke fort, damit die Augen dieser weißen Hunde sich nicht an seiner Leiche weiden! Sie sollen alle an seinem Grabe geopfert werden. Wir werden Old Firehand und Old Shatterhand lebendig mit ihm begraben.«
»Du lebst nicht lange genug, um mich begraben zu können!«
antwortete Old Shatterhand.
»Schweig, Hund, bis du gefragt wirst! Wie willst du die Tage kennen, welche ich noch zu leben habe?«
»Ich kenne sie. Es ist kein einziger mehr, denn morgen um diese Zeit wird deine Seele aus dem Körper gewichen sein.«
»Sind deine Augen so scharf, daß du in die Zukunft zu blicken vermagst? Ich werde sie dir ausstechen lassen!«
»Um zu wissen, wann du stirbst, bedarf es keiner scharfen Augen. Hast du jemals gehört, daß Old Shatterhand die Unwahrheit gesprochen hat?«
»Alle Bleichgesichter lügen, und du bist auch eins.«
»Die Roten lügen; das hast du bewiesen. Wir waren vier Weiße und kämpften mit vier Roten um unser Leben. Im Falle des Sieges sollten wir unsre Gegner töten dürfen und dann frei sein.
Wir siegten und schenkten euch das Leben. Dennoch wolltet ihr uns nicht die Freiheit geben. Ihr verfolgtet uns und fielet in unsre Hände. Wir konnten euch das Leben nehmen. Ihr hattet es verdient; wir thaten es doch nicht, weil wir Christen sind. Wir rauchten mit euch die Pfeife des Friedens, und ihr gelobtet uns, bis zum Tode unsre Freunde und Brüder zu sein. Wir ließen euch frei, und zum Dank dafür habt ihr uns überfallen und hierher geschleppt. Wer lügt, ihr oder wir? Aber weißt du, was ich dir sagte, bevor wir gegen Abend im Canon voneinander schieden?«
»Der »große Wolf« ist ein stolzer Krieger; er merkt sich nie die Worte eines Bleichgesichtes.«
»So will ich sie dir in das Gedächtnis zurückrufen. Ich warnte dich und sagte dir, wenn du dein Wort abermals nicht halten solltest, so werde es dein Tod sein. Du hast dein Versprechen gebrochen und wirst also sterben.«
»Wann?« grinste der Wolf.
»Morgen.«
»Durch wessen Hand?«
»Durch die meinige.«
»Du hast ein Loch im Kopfe, aus welchem dir das Hirn gelaufen ist!«
»Ich hab's gesagt, und so wird es geschehen. Zweimal lag dein Leben in meiner Hand; ich schenkte es dir, und du belogst mich trotzdem. Zum drittenmal wird das nicht geschehen. Die roten Männer sollen erfahren, daß Old Shatterhand wohl nachsichtig ist, aber auch zu strafen weiß.«
»Hund, du wirst keinen Menschen mehr bestrafen. Ihr werdet jetzt umzingelt und während der Nacht bewacht. Wir aber werden jetzt über euch beraten, und sobald der Tag anbricht, beginnen eure Todesqualen, welche mehrere Tage währen werden.«
Die Gefangenen wurden nach einer kleinen offenen Stelle des Waldes gebracht, auf welcher ein Feuer brannte; ein Indianer saß dabei, um es zu unterhalten. Man band ihnen nun auch die Füße zusammen und legte sie nieder. Zwölf bewaffnete Krieger standen rundum unter den Bäumen, um den Ort zu bewachen.
Eine Flucht war unmöglich oder schien wenigstens ganz und gar unmöglich zu sein.
Droll und Frank hatten von ihrem hohen Sitze aus alles deutlich gesehen. Der Baum, auf welchem sie sich befanden, stand vielleicht hundertfünfzig Schritte weit von dem Feuer der Häuptlinge entfernt, so daß sie auch den größten Teil der Worte, welche gesprochen worden waren, hatten
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