Der Schatz von Blackhope Hall
gern würde ich dich jetzt küssen, meine kleine Zynikerin …", flüsterte er.
Errötend senkte sie den Blick. "Hast du vergessen, welche Pflichten uns erwarten?"
"Tut mir Leid." Bedauernd seufzte er, ergriff ihren Arm, und sie bogen in den schmaleren Korridor.
Dort öffneten sie die erste Tür, dann die gegenüberliegende. Als sie den Raum betraten, an den die Geheimkammer grenzte, näherten sich die Schritte Großonkel Bellards und der anderen.
Die Tür, die in die Wand eingelassen war, stand offen.
Hastig wandte sich Stephen zum Korridor. "Rafe, pass auf, dass niemand hier hereinkommt!"
Sein Freund nickte, und Stephen schloss die Tür. Unbehaglich starrte Olivia ihn an. Von draußen drangen fragende Stimmen herein, und sie hörten Rafes entschiedene Antwort.
Nur zögernd wandte sie sich zur Geheimkammer um, in der tiefe Stille herrschte. Stephen ging hinein, und Olivia blieb ihm auf den Fersen – trotz ihrer Angst vor dem dunklen Raum, trotz der Übelkeit, die ihr den Magen umdrehte.
Abrupt hielten sie inne. Die goldene Kassette stand nicht auf dem kleinen Tisch, sondern daneben am Boden, inmitten verstreuter Juwelen – nur wenige Zoll von der ausgestreckten Hand einer leblosen Frau entfernt.
Doch sie starrten nicht den stämmigen Körper der Russin an, sondern Pamela St. Legers schlanke Gestalt. Entsetzt betrachteten sie das schöne, im Todeskampf verzerrte Gesicht.
"Allmächtiger …" Mehrere Minuten lang stand Stephen unbewegt da. Dann kniete er neben seiner Schwägerin nieder und tastete nach ihrem Puls, was überflüssig war – denn die Berührung der eiskalten Haut hatte ihm bereits Gewissheit verschafft. "Sie ist tot."
"Oh Stephen …" Bestürzt eilte Olivia zu ihm. Heißes Mitgefühl verdrängte die Übelkeit. Diese Frau, so schön im Leben, so beklagenswert im Tod, hatte er einst geliebt.
Mochte Pamela ihn auch schmerzlich verletzt haben – Olivia wusste, wie es jetzt in seinem Herzen aussah.
"Es tut mir so Leid", flüsterte sie und legte ihre Hand auf seine Schulter.
"Niemals hätte ich mir träumen lassen …", begann er und verstummte hilflos.
Sie zwang sich, die Leiche anzugucken, und ihr Magen rebellierte wieder. Aber sie kämpfte dagegen an. Pamelas Gesicht war eine Maske des Grauens. Woran war sie gestorben? Weder an ihrer Kleidung noch ringsum am Boden befanden sich Blutspuren.
In der Geheimkammer war es unerträglich kalt. Olivia erschauerte. Bleischwer lastete die bedrückende Atmosphäre auf der Seele.
Stephen stand auf, umfasste ihre Taille und führte sie ins Gästezimmer hinaus. Sekundenlang legte sie den Kopf an seine Schulter. "Was glaubst du? Wie ist sie gestorben?"
"Keine Ahnung. Weder Blut noch Würgemale – aber ihr Gesicht …"
"Ja, sie sah aus …"
"Als wäre sie in Panik geraten. Arme, habgierige Närrin!"
"Was meinst du? Wurde sie von Madame Valenskaya ermordet?"
Seufzend sank er auf die Bettkante und strich sich mit allen Fingern durchs Haar. "Da sie verschwunden ist, steht sie zumindest unter Verdacht."
"Aber wenn sie Pamela wegen der Juwelen getötet hat – warum hat sie nichts davon mitgenommen? Und warum war Pamela hier? Wollte sie …" Olivia unterbrach sich und suchte nach Worten, um ihre Frage möglichst taktvoll zu formulieren.
"Vermutest du, sie wollte den Märtyrerschatz stehlen?" Stephen nahm kein Blatt vor den Mund. "Einen anderen Grund für ihre Anwesenheit in der Geheimkammer kann ich mir nicht denken. Insbesondere, weil die geöffnete Schatulle neben ihr steht. Immer wieder hat sie sich bei mir beschwert und behauptet, ihr Geld würde kaum ausreichen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Natürlich hat Roderick gut für sie gesorgt. Doch das genügte einer Frau wie Pamela nicht. Sie war verbittert, weil sie keinen Erben geboren hatte und den Landsitz nicht für sich beanspruchen durfte. Und obwohl sie ihre Habgier mehrmals bewies – dass sie so tief sinken würde, hätte ich ihr niemals zugetraut."
"Vielleicht versuchte Madame Valenskaya, den Märtyrerschatz zu stehlen, und wurde von Pamela ertappt …"
Skeptisch schaute Stephen zu Olivia auf. "Du solltest meine Schwägerin nicht in Schutz nehmen. Den Charakter dieser Frau kannte ich besser als irgendjemand sonst."
"Und wie ist sie in die Geheimkammer gelangt?"
"Möglicherweise hat Roderick ihr den Mechanismus der Tür erklärt. Da er verrückt nach ihr war, tat er alles, was sie wollte – wenigstens am Anfang der Ehe. Ob er vor seinem Tod ihr wahres Wesen erkannte, weiß
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