Der Schatz von Blackhope Hall
vorgehen? Schau mich an, Olivia, und lass dir schwören – was du in mir weckst, ist nicht der Abklatsch einer Liebe aus einer anderen Zeit. Ja, irgendwie sind wir mit jenem Paar verbunden. Doch das schmälert unsere Liebe nicht. Im Gegenteil. Das Schicksal hat uns füreinander bestimmt. Selbst wenn Alys' und Johns Gefühle Generationen überdauert und Jahrhunderte später in uns neu erblüht sind, ist und bleibt es echte Liebe. Und ist unser Glück nicht umso wunderbarer wegen jener tiefen Verbundenheit?" Zärtlich zog er ihre Hand an die Lippen. "Ich weiß, dass ich dich liebe, keine Frau aus dem Mittelalter. Und", fuhr er fort, ein mutwilliges Funkeln in den Augen, "mein Verlangen nach dir gehört eindeutig der Gegenwart an."
Nun neigte er sich zu ihr. Leidenschaftlich und besitzergreifend presste er seinen Mund auf ihren. Als er den Kopf hob, konnte sie kaum atmen, die Wangen gerötet.
"Jetzt will ich endlich eine Antwort hören, Olivia. Liebst du mich? Wirst du mich heiraten?"
"Ja! Ja!" jubelte sie. "Über alles liebe ich dich! Und ich will deine Frau werden!"
Lachend zog er sie aus ihrem Sessel auf seinen Schoß und küsste ihren Hals. In gespielter Empörung sagte sie: "Stephen! Noch bist du nicht vollends genesen. Denk an deine Wunde!"
"Zum Teufel mit meiner Wunde …" Seine Lippen sandten einen wohligen Schauer durch Olivias Körper. "Inzwischen bin ich kerngesund", beteuerte er und betrachtete ihr Gesicht. "Aber ich finde, wir sollten uns in mein Schlafzimmer zurückziehen."
Die Arme um seinen Nacken geschlungen, erwiderte sie seine heißen Küsse und protestierte nicht länger.
– ENDE –
1. Kapitel
Die Saison hatte zwar erst begonnen, doch es hielten sich bereits zahlreiche Kurgäste in Harrogate auf. An einem Spätnachmittag im Juni fuhr die aus Leeds kommende Kutsche auf den Hof der Posthalterei, und sieben Passagiere stiegen aus – eine vierköpfige Familie, eine ältere, von einem sehr viel jüngeren Mann begleitete Dame, sowie Lady Annis Feltham, Baroness Wycherley. Lady Wycherley kannte die Stadt, da sie in der Nähe geboren worden war und zahlreiche Sommer mit ihren Cousins und Cousinen hier verbracht hatte, wenn ihr Vater auf Landurlaub gewesen war. Er hatte bei Skipton ein kleines Anwesen erstanden, das sich seit nunmehr fast zehn Jahren in ihrem Besitz befand. Dort hielt sie sich auf, wann immer sich die Gelegenheit dazu ergab. Da sie als Patronesse für Debütantinnen fungierte, weilte sie jedoch auch häufig in London, Brighton oder Bath, wenngleich von allen Städten, die bei der feinen Gesellschaft en vogue waren, Harrogate als der populärste Badeort galt. Unter den auf dem Platz wartenden Leuten entdeckte sie Charles, nahm ihren Portemanteau an sich und eilte zum Vetter.
Die meisten Frauen würden ihn als sehr attraktiv bezeichnen. Wie seine Schwester Sibella hatte er blaue Augen und ein ansprechendes Gesicht, und sein Lächeln war sehr gewinnend. Er arbeitete als juristischer Berater für Mr. Ingram, den erfolgreichsten Kaufmann der Stadt, und bekleidete daher in Gesellschaft eine gehobene Position.
Annis stellte das Gepäck ab und umarmte ihn herzlich.
Zuneigungsvoll drückte er sie an sich, schob sie dann auf Armeslänge von sich fort und schaute sie belustigt an. Sie war siebenundzwanzig Jahre alt, seit fast acht Jahren verwitwet und sah sehr gut aus. Ihr ovales Gesicht mit den nussbraunen Augen, der ebenmäßigen Nase und den hübsch geschwungenen vollen Lippen war sehr ausdrucksvoll und ihr Teint makellos. Ihre Schönheit kam nicht recht zur Geltung, weil das herrliche blonde Haar von einer Schute bedeckt wurde. Über einem einfachen Reisekleid trug sie eine schlichte graue Pelerine. "Du meine Güte, Annis!" sagte Charles verdutzt. "Was hast du aus dir gemacht?"
"Wie schön, dich wiederzusehen, Charles", antwortete sie lächelnd. "Was stört dich an meinem Aussehen? Ich kleide mich schlicht, wie es sich für jemanden gehört, der als Chaperone fungiert."
"Deine Garderobe, meine Liebe, macht dich um Jahre älter", erwiderte Charles kopfschüttelnd. "Beinahe hätte ich dich nicht wiedererkannt!"
"Eine allzu elegante Aufmachung wäre bei meiner Tätigkeit gänzlich unangebracht", entgegnete Annis trocken.
"Hattest du angenehme Mitreisende?" erkundigte er sich.
"Teils, teils", antwortete sie und winkte den Fairlies zu, die soeben in die Herberge gingen. "Die Familie mit den beiden Kindern war sehr nett, aber leider kann ich das von den anderen Herrschaften
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