Der Schatz von Dongo
Polizei erwartet. Nach diesem Zwischenfall wurden die Wachen von
vierzig auf einhundertelf Mann verstärkt, die Ehefrauen durften nicht
mehr kommen, und der Direktor wurde durch einen wesentlich härteren
Mann ersetzt.«
»Und was wurde aus Gisella?«
»Wir schrieben uns noch eine Weile. Doch ohne unsere Sonntage
im Pinienwäldchen, die sie immerhin an mich banden, teilte sie mir, wie
zu erwarten gewesen war, eines Tages mit, daß sie einen Olivenhändler
in Brescia heiraten würde. Das war das letzte, was ich von ihr hörte.«
»Bleiben also noch dreizehn Jahre. Was hast du, verdammt noch
mal, in diesen dreizehn Jahren gemacht?«
»Das will ich dir sagen, Dan. Ohne Frauen, in der toten Welt
des Zuchthauses, auf dieser gottverlassenen Felseninsel im Meer war ich
bald ebenso tot wie die Vier-Meter-Zelle, in der ich hauste. Außerdem
mußte ich über vieles nachdenken. Sie stahlen mir mein Leben. Meine
besten Jahre. Zurückgeben konnten sie sie mir nicht. Aber sie werden
mir dafür bezahlen müssen.«
Dan zog eine unbehagliche Miene. »Ich habe dir die zehn Tage
Aufenthaltserlaubnis bis zur Ausweisung verschafft, Paul. Aber das
andere … all das Zeug, das du in deinen Briefen
erwähnst …«
»Ich weiß, daß es unglaublich klingt, aber bitte, gib mir
Gelegenheit, dir alles zu erklären, ja?«
»Um Himmels willen, du redest von vierundzwanzig Millionen
Dollar!«
»Eben. Pro Jahr eine Million. Hättest du die vergangenen
vierundzwanzig Jahre deines Lebens für vierundzwanzig Millionen
verkauft? Angenommen, jemand hätte dir damals, 1945, dieses Angebot
gemacht. Hättest du es akzeptiert?«
»Ich glaube nicht.«
»Okay. Der Preis ist also nicht so exorbitant.«
»Ich sage ja nicht, daß du es nicht verdienst. Versteh mich bitte nicht falsch …«
»Dann gib mir Gelegenheit, dir alles auseinanderzusetzen.
Deswegen wollte ich die zehn Tage.«
»Aber selbst wenn du mich überzeugst, du würdest weit mehr
Zeit dazu brauchen …«
»Ich würde vier Monate brauchen.«
»Und wie, in aller Welt, soll ich dir vier Monate verschaffen?«
»Genauso, wie du mir die zehn Tage verschafft hast. Was
würdest du tun, wenn du Gelegenheit hättest, zehn, fünfzehn Prozent von
vierundzwanzig Millionen zu bekommen?«
»Mein Gott, du redest, als wäre dir der Stein bekannt, unter
dem das Zeug vergraben ist! Soweit ich es beurteilen kann, ist das
Ganze doch Traumtänzerei. Gib den Gedanken auf, Paul. Geh nach Hause,
such dir eine Frau und sieh zu, daß du dir ein neues Leben aufbaust.«
»Als was? Ein großartiger Rat von einem gutgenährten
Wohlstandsbürger mit einem soliden Job und zwanzigjähriger
Berufserfahrung, ganz zu schweigen einmal von Pensionsberechtigung,
Trennungsgeld, Krankenversicherung, Aktienvorkaufsrecht und all den
anderen schönen Federn, die sie dir an den Hut stecken. Ich weiß
Bescheid über die Großzügigkeit der Firmen; ich habe alles darüber
gelesen, in den ein Jahr alten ›Epoca‹ und ›Oggi‹, die wir bekamen.
Sieh ihn dir an, hier steht er, Paul Selwyn, vierundvierzig Jahre alt,
versiert in italienischem Knastjargon, aus dem Anwaltsstand
ausgeschlossen, bevor er diesen Beruf überhaupt ausüben konnte,
überführter Mörder, unehrenhaft aus der US Air Force entlassen,
degradiert, ohne jegliche Erfahrung in irgendeinem Beruf, hier steht er
und wartet auf den Meistbietenden. Weißt du denn überhaupt, wovon du
redest?« Ich merkte, daß ich zu weit gegangen war, aber der Scotch
hatte meine Zunge gelöst, und ich war ehrlich verzweifelt. Dan war mein
einziger Kontakt mit der Außenwelt, und das nicht nur in Rom. Er war
mein einziger Kontakt mit jener Welt, die für mich auch jetzt noch
›draußen‹ war, obgleich man mich in sie entlassen hatte. Verwandte
hatte ich nicht – mein Vater war gestorben, als ich noch zur
Schule ging, meine Mutter während meines neunten Jahres im
Zuchthaus –, und nun hatte ich außer Dan und einem ehemaligen
Collegefreund, der jetzt einem großen Schuhkonzern in St. Louis
vorstand, keinen Menschen, mit dem ich Verbindung aufnehmen, geschweige
denn, auf den ich mich verlassen konnte. Der Schuhkumpel aus St. Louis
hatte einen Scheck über zweihundert Dollar geschickt und mir taktvoll,
doch unzweideutig zu verstehen gegeben, daß das alles sei, was er für
meine Resozialisierung zu tun gedenke.
Und so wurde der arme Dan, der sich bestimmt nicht darum riß,
mein Hüter und Beschützer zu sein, ja dem sogar daran gelegen war, mich
möglichst schnell in die
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