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Der Schatz von Franchard

Titel: Der Schatz von Franchard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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und meine Ansicht stützt sich auf die kühlsten, klarsten Schlüsse der Logik – solltest du oder ich je diesen Ort der Freude verlassen wollen – es wäre die Pflicht, ja das Vorrecht unseres besten Freundes, uns daran zu hindern, und wenn er uns eine Kugel in die Brust schösse.«
    Eines schönen Junitages saßen sie auf dem Hügel außerhalb des Dorfes. Der Fluß schimmerte, blau wie der Himmel, hier und dort zwischen den Zweigen hindurch. Die unermüdlichen Vögel kreisten und flatterten um den Gretzer Kirchturm. Vom Walde her blies ein gesunder Wind, und das Geräusch abertausender von grünen Wipfeln und Millionen und Millionen grüner Blätter schwirrte durch die Luft und füllte das Ohr mit einem Klang, der zwischen Flüstern und Singen schwankte. Es war, als wenn jeder Grashalm ein Heimchen verborgen hielte, die Felder sangen ihr lustiges Lied, klingelten weit und breit wie das Schlittengeläut der Feenkönigin. Von ihrem Platze am Bergesabhang umfaßte das Auge auf der einen Seite ein großes Stück der pappelumsäumten Ebene und auf der anderen Seite die welligen Waldhügel zwischen beiden lag Gretz, eine Handvoll Dächer. Unter dem weiten blauen Himmelsbogenwar das Dorf wie zu Spielzeuggröße zusammengeschrumpft. Es fehlen kaum glaublich, daß in diesem winzigen Erdenwinkel tatsächlich Menschen hausen und Raum zum Atmen finden könnten. Dieser Gedanke kam dem Jungen vielleicht zum erstenmal, und er verlieh ihm Worte.
    »Wie klein es aussieht!« seufzte er.
    »Jawohl,« erwiderte der Doktor, »heute sieht es recht klein aus. Und doch war es einmal eine blühende Stadt mit Mauern, voll pelzgekleideter Bürger und waffentragender Männer, voll geschäftigen Treibens, mit hohen Türmen und festen Zinnen und was weiß ich. Tausend Schornsteine hörten beim Abendläuten zu rauchen auf. Vor den Toren standen die Galgen so dicht wie Vogelscheuchen. In Kriegszeiten rannten die Stürmenden mit Leitern gegen die Wälle an, die Pfeile schwirrten dicht wie Blätter, die Verteidiger machten stürmische Ausfälle über die Zugbrücke hinaus, jede Partei ließ während des Ringens ihren Kampfruf erschallen. Weißt du, daß die Wälle sich bis zu der Commanderie erstreckten? Die Sage will es. Ach, wie fern liegt dies Getümmel heute – nichts ist davon übrig geblieben, die paar stillen Worte ausgenommen, die ich dir jetzt sage – und die Stadt selbst ist zu jenem Dörfchen zu unseren Füßen zusammengeschrumpft. Dann kamen die englischen Kriege – von den Engländern wirst du später noch mehr erfahren, ein dummes Volk, das indes mitunter trotz aller Tolpatschigkeit einiges Gute geschaffen hat – und Gretz wurde erobert, geplündert und gebrandschatzt. Das ist so die Geschichte vieler Städte, aber Gretz hat sich niemalsdavon erholt. Es wurde nicht wieder aufgebaut; seine Ruinen dienten aufstrebenden rivalisierenden Städten als Steinbruch; die Steine von Gretz stehen jetzt aufrecht entlang den Straßen von Nemours. Es freut mich, daß unser altes Haus als erstes aus dem Staub aufblühte; nach dem Fall der Stadt wurde es der Grundstein zu dem Dorfe.«
    »Ich bin auch froh darüber,« sagte Jean-Marie.
    »Es müßte zum Tempel aller schlichten Tugenden werden,« entgegnete der Doktor mit feinschmeckerischem Behagen. »Vielleicht liebe ich den kleinen Ort nur darum so, weil er die gleiche Geschichte hat wie ich. Habe ich dir schon erzählt, daß ich früher einmal reich war?«
    »Ich glaube, nein,« antwortete Jean-Marie. »Ich glaube, das hätte ich nicht vergessen. Es tut mir leid, daß Sie Ihr Vermögen verloren haben.«
    »Leid?« rief der Doktor. »Ich sehe, daß ich trotz allem nicht einmal die Anfangsgründe zu deiner Erziehung gelegt habe. Achte auf das, was ich sage. Würdest du lieber in dem alten Gretz oder in dem neuen wohnen, ohne die Schrecken des Krieges, umgeben von grünen Wiesen, ohne Lärm und Pässe, ohne die Erhebungen der Soldateska und das Gebimmel der Abendglocken, die uns schon bei Sonnenuntergang ins Bett schicken würden?«
    »Wahrscheinlich lieber in dem neuen,« war des Jungen Antwort.
    »Sehr richtig,« entgegnete der Doktor, »ich auch. Und ebenso ziehe ich mein bescheidenes Vermögen von heute meinem früheren Reichtum vor. GoldeneMittelmäßigkeit! riefen die bewunderungswürdigen Alten; und ich teile ihre Begeisterung. Habe ich nicht guten Wein, gutes Essen, gute Luft, Wald und Feld zum Spazierengehen, ein Haus, eine ausgezeichnete Frau und einen Jungen, den ich buchstäblich wie

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