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Der Schatz von Franchard

Titel: Der Schatz von Franchard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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Erleuchtung. »Läßt sich Reichtum nicht auch gut anwenden?« fragte er.
    »Der Theorie nach schon,« entgegnete der Doktor, »aber die Erfahrung lehrt, daß niemand das wirklich tut. Ein jeder denkt, er wird eine Ausnahme sein, wenn er erst reich geworden ist; allein der Besitz wirkt erniedrigend, neue Begierden keimen, und der alberne Hang zur Prahlerei zehrt die Seele des Genusses auf.«
    »Dann wären Sie also auch besser dran, wenn Sie weniger hätten,« sagte der Junge.
    »Durchaus nicht«, versetzte der Doktor; aber seine Stimme zitterte dabei.
    »Warum nicht?« fragte die erbarmungslose Unschuld. Doktor Desprez sah im Augenblick sämtliche Farben des Regenbogens vor sich; das stabile Weltall um ihn her schien zusammenstürzen zu wollen. »Weil,« sagte er, und gab sich nach einer merklichen Pause den Anschein der Überlegung, »weil ich mein Leben nach meinem gegenwärtigen Einkommen eingerichtet habe. Es ist für Männer meines Alters nicht gut, gewaltsam aus ihren Gewohnheiten gerissen zu werden.«
    Die Sache war heikel gewesen. Der Doktor atmete schwer und verfiel den Nachmittag über in Schweigen. Was den Jungen betraf, so war er entzückt über die Lösung seiner Zweifel; ja, er wunderte sich sogar, daß er die naheliegende und bündige Antwort nicht vorausgesehen hatte. Sein Glaube an den Doktor war eine solide Sache. Desprez pflegte nach Tisch, besonders nach Rhoner Wein, seinem Lieblingslaster, einige Ähnlichkeit mit einer Wetterfahne zu besitzen. Er verweilte dann bei der Wärme seiner Gefühle für Anastasie, debattierte, mit brennenden Wangen undeinem lockeren, unsicheren Lächeln über alle möglichen Dinge und versuchte, auf eine schwache und indiskrete Weise witzig zu sein. Allein der adoptierte Stalljunge gestattete sich nie einen Zweifel, der nach Undankbarkeit hätte schmecken können. Ein Mann kann sehr wohl wie ein zweiter Vater sein und dennoch gern etwas über den Durst trinken; doch das sind Wahrheiten, die von den besten Naturen stets zuletzt akzeptiert werden.
    Der Doktor herrschte unumschränkt über sein Herz, wenn er auch seinen Einfluß auf Jean-Maries Geist vielleicht überschätzte. Zwar machte sich dieser zweifellos einige der Ansichten seines Herrn zu eigen, aber niemand hat je erfahren, daß er eine seiner eigenen aufgegeben hätte. Überzeugungen lebten in ihm, wie Gott sie ihm eingegeben hatte; sie waren jungfräulich, ungeschliffen, rohes Metall. Er konnte zwar neue hinzufügen, nicht aber welche hinwegnehmen; auch war es ihm gleichgültig, ob sie sich untereinander vertrugen, und seine geistigen Freuden bestanden keineswegs darin, an ihnen Kritik zu üben oder sie mit Worten zu rechtfertigen. Worte waren für ihn nichts als eine Kunst, wie zum Beispiel das Tanzen. Wenn er allein war, waren seine Freuden fast vegetabilisch. Er pflegte in die Wälder bei Achères zu entschlüpfen und am Eingang einer Höhle unter grauen Birken zu sitzen. Seine Seele starrte ihm geradewegs aus den Augen; er rührte sich weder, noch faßte er einen Gedanken; Sonnenlicht, schlanke, schwankende Schatten im Wind, die Umrisse der Tannen gegen den Himmel abgezeichnet, erfüllten und bannten seine Sinne. Er war einevollkommene Einheit, ein völlig losgelöster Geist. Eine einzige Stimmung nahm ihn ganz gefangen, zu der alle durch die Sinne wahrnehmbaren Dinge beitrugen, wie die Farben des Spektrums alle in Weiß zusammenfließen und verschwinden.
    Also versank, während der Doktor sich an Worten berauschte, der angenommene Stalljunge in Sinnen und Schweigen.

Fünftes Kapitel: Der Schatz wird gefunden
    Der Doktorwagen war ein zweirädriges Gig mit einer Haube; ein Gefährt, wie es von Landärzten bevorzugt wird. Wie oft ist man ihm auf entlegenen Landwegen zwischen den Pappeln oder auf der Dorfstraße, an irgend einen Torpfosten gebunden, begegnet! Diese Art Wagen leidet – besonders im Trott – an einer Art schaukelnder Bewegung quer über der Achse, die ihm ein recht albernes Aussehen gibt. Die Haube beschreibt einen stattlichen Bogen in der Landschaft und übt auf den nachdenklichen Fußgänger eine feierlich-lächerliche Wirkung aus. Das Fahren in solch einem Wagen kann daher nicht wohl zu den bevorzugten Beschäftigungen des Lebens zählen, mag sich bei Leberleiden indes als eine recht nützliche Sache erweisen. Daher wohl auch seine große Beliebtheit bei Ärzten.
    Eines frühen Morgens führte Jean-Marie des DoktorsEinspänner aus dem Stall, öffnete das Tor und erklomm den Kutschersitz.

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